Hühner Voodoo (German Edition)
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EINS
Es klingelte an der Haustür. Gwendolyn warf einen Blick auf den Bildschirm ihrer Überwachungsanlage. Der Mann kam ihr vage bekannt vor. Sie seufzte, ging zur Eingangstür und öffnete.
«Guten Tag, Frau Herzog von Wohlrath.»
Gwendolyn nickte kaum merklich.
«Bernhard Ziegler», stellte er sich vor. «Ich arbeite bei Wulf und Partner. Ich bin Ihr Anlageberater.»
Sie sah ihn misstrauisch an.
«Wir verwalten Ihr Vermögen.»
«Ich weiß.»
Er schien sehr nervös zu sein, wirkte fahrig und wischte sich mit einem billigen Papiertaschentuch den Schweiß von der Stirn. Ein kleiner Fetzen blieb über seiner rechten Augenbraue hängen. Gwendolyn war versucht, ihn darauf aufmerksam machen, aber er schien ein dringendes Anliegen zu haben.
«Ich, ähm, also … kann ich mich setzen?», fragte er.
«Was denn? Hier? Vor die Tür?»
«Nein, also, ich dachte eher drinnen.»
Gwendolyn starrte auf das Papierschnipselchen auf seiner Stirn.
«Es ist wirklich wichtig.»
«Dass Sie sich setzen?»
«Ja, das auch. Aber eigentlich meinte ich, es ist wichtig, dass ich mit Ihnen rede. Bitte.»
Gwendolyn öffnete die Tür nun ganz.
Bernhard Ziegler wankte etwas, als er eintrat. Sie wies ihn in ihr Wohnzimmer.
«Brauchen Sie einen Cognac? Oder ist Alkohol bereits der Grund, dass Sie so unsicher auf den Beinen sind?»
«Nein. Ja.»
«Was nun?»
«Cognac wäre gut.»
Er ließ sich auf dem Sofa nieder, Gwendolyn holte einen Remy Martin XO und einen Cognacschwenker aus dem Schrank, schenkte ein und stellte Ziegler das Glas hin.
«Schenken Sie sich am besten auch einen ein, es geht um Ihr Vermögen», seufzte er.
Gwendolyns drei Scheidungen hatten sie reich gemacht. Ihr Vermögen war angelegt, sie lebte sehr angenehm von den Zinsen. Und mit Ehemann Nummer vier hatte sie endlich den Mann fürs Leben gefunden; zumindest für das letzte Drittel. Er hatte eine sehr elegante Jugendstilvilla erworben, wo er nach vielen Jahren im Ausland, bedingt durch seine Arbeit im diplomatischen Dienst, mit Gwendolyn sesshaft werden wollte. Doch dazu kam es nicht mehr. Ihr Ehemann verstarb, und Gwendolyn brachte es nicht übers Herz, die Villa zu verkaufen; sie hielt an dem gemeinsamen Plan fest und bezog das Haus alleine.
«Was ist mit meinem Geld?»
«Nun, haben Sie noch welches?»
«Wie bitte?»
«Na ja, vielleicht gibt es noch Konten, Anlagen, Aktien, Fonds, die wir nicht betreuen?»
«Nein. Was soll die Frage?»
Statt zu antworten, fragte Bernhard Ziegler weiter: «Wertvollen Schmuck, Goldbarren in einem Banksafe? Oder Bargeld unter der Matratze?»
«Nein, nein und nein. Worum geht es?»
«Ich hab schlechte Nachrichten für Sie.»
Gwendolyn zog die Augenbrauen zusammen. «Ich schätze es nicht, wenn jemand aus dem Büro meiner Vermögensverwaltung von schlechten Nachrichten spricht.» Sie schätzte es auch nicht, mit jemand ein ernsthaftes Gespräch zu führen, auf dessen Stirn ein Stück Papiertaschentuch klebte. Sie seufzte.
Ziegler seufzte ebenfalls, kippte den Cognac, atmete tief durch und sagte: «Also wenn Sie Ihr gesamtes Vermögen Herrn Wulf anvertraut haben, dann muss ich Ihnen leider mitteilen, dass Sie mittellos sind.»
«Mittellos?»
«Arm.»
«Arm?»
«Kein Geld.»
Gwendolyn sah ihn scharf an und sagte: «Ich würde es begrüßen, wenn Sie sich etwas deutlicher ausdrücken würden.» Und sich den Papierschnipsel von der Stirn entfernen, fügte sie im Geiste hinzu.
«Ich dachte, das wäre bereits sehr deutlich.»
«Nein.»
Bernhard Ziegler holte tief Luft. «Herr Wulf, der Inhaber unserer Firma, hat die Konten unserer Kunden geplündert und sich mit dem Geld abgesetzt. Er ist weg. Spurlos verschwunden.»
Der nervöse Anlageberater hielt ihr sein leeres Glas hin, sie schenkte nach, nahm ihm dann allerdings den Cognac aus der Hand und trank ihn selbst aus.
Das waren tatsächlich unerfreuliche Nachrichten. Äußerst unerfreulich. Kein Geld. Sie hatte kein Geld mehr. Wie verhält man sich in einer solchen Situation? Was ist eine adäquate Reaktion? Sie würde darüber nachdenken müssen. Zunächst beschränkte sie sich darauf, Ziegler sehr hochmütig anzusehen.
Gwendolyns Hochmütigkeit war nicht gespielt. Hochmut war ihre Art, auf Stress zu reagieren. Sie zitierte gerne aus Camus’ Der Mythos des Sisyphos : «Es gibt kein Schicksal, das nicht durch Verachtung überwunden werden könnte.» Camus’ Philosophie des Absurden lag ihr. Nicht in letzter Konsequenz. Sie sah es eher
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