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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Nach der dritten Tasse Kaffee begann ihr Hirn wieder im Takt zu laufen. Sie atmete tief durch und lehnte sich nach hinten.
    »War es wirklich Martin?«, fragte Lissi flüsternd.
    »Ja, wie …« Ach nein, der Spruch »wie er leibt und lebt« passte hier nicht so recht.
    »Weiß man schon was?«
    »Nein, aber die Kollegen sind dran. Mehr ist momentan nicht zu sagen.« Irmi hoffte, dass Lissi diesen Wink mit der Litfaßsäule verstanden hatte. Sie wollte und konnte nicht über Martin reden.
    Lissi nagte an ihrer Käsesemmel und sah furchtbar unglücklich aus.
    »Madl, mir geht es gut. Jetzt schau doch nicht so!«
    Lissi sah Irmi direkt in die Augen. Flehentlich. »Ja, aber mir geht’s nicht gut.«
    »Wegen Martin, also ich …« Irmi brach ab. Wie blöd war sie? Wie egozentriert. Natürlich ging es Lissi gar nicht um Martin, sondern um den Sachsen. »Hast du …?« Irmi sah verlegen in ihre Tasse.
    »Ja.«
    Sie hätte jetzt »ja und?« sagen wollen, aber das ging natürlich nicht. Lissi war eine brave Bauersfrau, die ihren Mann ganz sicher noch nie betrogen hatte. Nun hing ihre Weltkugel in arger Schieflage.
    »Lissi-Madl, so was passiert schon mal. Mei …« Das war auch nicht gerade psychologisch wertvoll.
    »Aber Irmi, ich hab …«
    »Was hast du? Du hast zu viel getrunken. Du hast mit einem netten Mann geflirtet. Es ist mehr draus geworden. So was passiert.«
    »Aber …«
    »War’s denn nicht nett?«
    »Mensch, Irmi, was ist das für eine Frage!«
    Nein, ihr war heute nicht nach Schonung und Samthandschuhen. »Lissi, jetzt schau mal: Du hast mit einem Mann geschlafen, der ganz nett ist. Entweder es war schön, dann freu dich drüber. Oder aber es war nicht so toll, dann schieb es auf den Alkohol und hak es ab. Mach dir bitte keine Vorwürfe, es geht doch nicht um Schuld.«
    »Aber ich hab Alfred betrogen.«
    »Willst du es ihm sagen?«
    »Nein!« Lissi hatte zu ihrem Organ zurückgefunden. Die Leute schauten wieder her.
    »Eben. Es war ein Ausrutscher. Du hast doch nicht vor, die nächsten Wochen mit ihm eine Affäre zu haben, oder?«
    »Nein!«
    »Eben! Hast du dich in ihn verliebt? Das wäre natürlich blöd.«
    »Nein, er ist nett. Er war …«
    »Er war eben da. Genau. Und das genügt oft. Dass jemand da ist.«
    Ja, das genügte. Wenn man einsam war. Oder sentimental. Oder melancholisch. Was hätte sie Lissi von Nebenwelten erzählen sollen? Davon, dass man die Ebenen wechseln konnte, ja, sogar musste, um zu überleben? Dass so eine Kur ein Zauberberg war, der mit der Realität nichts zu tun hatte. Wie schwer es war, dann wieder in das profane und wahre Leben abzusteigen. Wie oft sie selbst diese Bergtour gemacht hatte. Wenn sie ihn traf, war das für beide ein ganz persönlicher Schonraum. Aber wenige Tage Zauber wurden schal gegen die Einsamkeit in der Realität.
    Lissi kannte so was nicht. Sie hatte jung geheiratet, hatte ihre Kinder, den Hof, die klaren Abläufe. Sie würde das mit sich selbst ausmachen müssen, auch wenn das schwer sein würde, weil so ein Ausrutscher weit außerhalb ihres Weltbildes lag. Eigentlich beneidenswert. Auch wenn sie nun Höllenqualen litt.
    »Was mach ich denn jetzt nur?« Sie klang wie ein kleines Mädchen. Vierzig Jahre alt mit dem Gemüt einer Zwölfjährigen.
    »Gar nichts. Wenn du den Sachsen triffst, sagst du ›servus‹, benimmst dich normal, und gut ist’s.«
    »Aber das kann ich nicht!«
    »Doch, das kannst du!«
    »Nein, ich fahr heim!«
    »Madl, wenn du jetzt heimfährst, merkt Alfred sofort, dass was nicht stimmt. Komm, wir machen einen Ausflug. Irgendwohin. In der Rezeption hängen jede Menge Vorschläge. Wir suchen uns was aus. Wandern hilft immer. Ab jetzt, wir treffen uns in zwanzig Minuten!«
    Als Lissi endlich kam, verheult, aber gefasst, hatte Irmi schon eine Tour ausgewählt. »Hochprozentiger Hochgenuss in Hörmoos: Allgäus höchste Schnapsbrennerei auf 1300 Metern« hieß das Angebot. Schnaps war sicher das, was Lissi jetzt brauchte, und das Ganze wurde nicht vom Sachsenlümmel geführt. Der war schon weg, zu einer Sonnenaufgangswanderung. Der muss Kondition haben, dachte Irmi.
    Ein Bus sammelte noch die anderen Hotelgäste ein, und Irmi kam sich vor wie auf einer Kaffeefahrt, wo es Schafwolldecken zu erwerben gab und fünfhundert Gramm deutscher Landbutter. Wie erfreulich, dass sie in ihrem hohen Alter den Schnitt im Bus ausnahmsweise mal senkte!
    Man kurvte hinüber nach Österreich und hinauf zu einem Liftparkplatz am Almhotel

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