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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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ihr mal das Hörmooser Lebenselixier. Milde 30,8 Prozent verteilen sich auf ausgesuchte Kräuter. Da bindest du dir noch mit fünfundneunzig Jahren die Schuhbändel selbst. Schon die Alchimisten haben so was dereinst gebrannt!« Schneider grinste.
    Nach drei »Probiererle« war jede Beherrschung beim Teufel, und man beschloss, drüben im Gasthaus eine ordentliche Brotzeit einzunehmen. Das Fleisch war so schwach. Lissi war ebenfalls enziangedopt und gab Geschichten von nächtlichen Kälbergeburten zum Besten. Einer der anwesenden Herren schien mächtig interessiert, ja, Lissi war die Fleisch gewordene Charmeoffensive, und im Prinzip war es völlig egal, ob sie zehn Kilo mehr oder weniger wog.
    Bei Irmi war das ganz anders. Ihre Nachfolgerin Sabine war zaunrackendürr gewesen. Verdammt, da war er wieder: Martin Maurer – gegen den halfen weder Enzian noch Lebenselixier.

3
    Auf dem Rückweg im Bus hatte sie dennoch das Gefühl, dass der Ausflug ihr gutgetan hatte. Allein deshalb, weil er Lissi geholfen hatte. Und plötzlich bäumte sich etwas in ihr auf. Sie war Polizistin, der Tote war ihr Exmann. Da war es doch geradezu ihre Pflicht, etwas zu tun! Spontan bat sie in Weidach den Busfahrer, sie aussteigen zu lassen.
    »Ich komm bald nach«, rief sie der verblüfften Lissi zu, deren Antwort durch das zischende Schließen der Bustüren verschluckt wurde.
    Irmi suchte nur kurz. Sepp saß auf einer Bank vor dem uralten Haus, in dem er wohnte, neben sich eine Katze, die Irmi mit riesengroßen Kulleraugen ansah. Keine Katzenaugen, sie sahen eher aus wie die eines Bären aus der Spielzeugabteilung.
    »Griaß di, des isch a Freid!«
    »Ganz meinerseits. Sepp, ich, also …«
    Er nickte. »Passt scho.« Er verschwand im Haus und kam mit einer braunen Flasche und zwei Gläsern wieder. »Mir hend an Penninger Schopp im Ort. I sauf doch nix aus dem Bayerwald, wenn mir des Zuig selber brennet.«
    »Ich war grad auf der Kräuteralpe. Ich glaub, ich sollt langsam tun.«
    »An Schmarrn, dann hoscht den Vergleich.« Er lachte.
    Das Zuig war ein Vogelbeer. Und was für einer.
    »Lecker!«, sagte Irmi, und ihr kam der Gedanke, dass das ein sehr preußisches Wort war. Dann sah sie sich um. »Schön hast du es hier.«
    Er machte eine weite Handbewegung. »Mei, das Allgäu war eine arme Gegend, die Häuser waren stets praktisch, aber nie prunkvoll. Mensch und Vieh lebten unter einem Dach. Der Hauseingang geht nach Süden, die Stube ist immer in der östlichen Giebelseite, auf der Westseite des Hauses gibt es keine Fenster, sie ist dicht verschalt – Tribut an die harten Winter.« Nun sprach er wieder Hochdeutsch, dieser nette Zweisprachler, und Irmi war sich sicher, dass er alles über seine Heimat wusste. Dass er jeden kannte. Deshalb war sie auch hier.
    »Schön«, sagte Irmi und deutete auf die Schindeln.
    »Ich mach sie noch selbst. Die Schindeln sind ein guter Schutz gegen das Wetter.«
    Er machte eine einladende Handbewegung, und Irmi folgte ihm in die Stube. Sie fühlte sich gleich zu Hause. Früher war die Stube in einem Bauernhaus der einzige heizbare Raum gewesen, und selbst Irmi konnte sich erinnern, dass in ihrer Kindheit oft Reif die Bettdecke überzogen hatte.
    Sie blickte aus dem Fenster. Nichts als Weite. Berge am Horizont.
    »Schön, eure Einzelhöfe.« Sie war immer noch ziemlich wortkarg und abwartend. Aber so ganz klar war ihr ja selbst nicht, was sie hier wollte.
    »Weißt du, dass man das Vereinödung nennt?«, fragte er.
    Irmi schüttelte den Kopf.
    »Entstanden sind die Einzelhöfe ab 1550. Die Idee kam von den Bauern selbst, deren Grundstücke oft sehr kleinteilig waren und weit auseinander lagen. Dass die Initiative von den Fürstäbten ausgegangen sei, ist Geschichtsklitterung. Die Äbte haben nur freudig zugestimmt, weil sie sich von effektiverer Bewirtschaftung eben auch mehr Abgaben erhofften. Damals wie heute – die Großkopferten tun immer so, als seien die guten Ideen ihre gewesen.« Er lachte.
    Irmi nickte und schwieg. Sah aus dem Fenster. »Dabei ist es in diesen idyllischen Gegenden …«
    »… gar nicht so idyllisch, willst du sagen«, ergänzte er.
    »Ja genau. Und ich hab so einen blöden Beruf, dass ich immer in der … der …«
    »… Scheiße stochern musst. Sag es ruhig.«
    »Ja, eben. Und jetzt …« Irmi stockte wieder. Es war eine feine Gesprächsführung, Sepp einen Brocken hinzuwerfen, den er ergänzen und weiterdenken konnte und wollte. Sepp erinnerte sie ein wenig an Vitus, den sie

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