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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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ließ sich das nicht nur gefallen, vielmehr erließ er strengste Befehle und verbot jedermann, auch Ursula, ihm näher als auf drei Meter Entfernung entgegenzutreten, solange seine Leibwache nicht das Haus mit Wachposten umstellt hatte. Er trug eine gewöhnliche Drillichuniform ohne irgendwelche Abzeichen und hohe, mit Lehm und geronnenem Blut verschmierte Sporenstiefel. Am Koppel steckte in einer offenen Tasche ein automatischer Revolver, und seine unablässig auf dem Griff ruhende Hand verriet die gleiche wachsame, entschlossene Spannung wie sein Blick. Sein schon reichlich kahler Schädel schien auf kleinem Feuer geschmort zu haben. Sein vom Salz des Karibischen Meers gegerbtes Gesicht hatte eine metallische Härte angenommen. Er schien gegen das drohende Alter mit einer Vitalität gewappnet, die fraglos etwas mit der Kälte seiner Eingeweide zu tun hatte. Er war größer als bei seinem Fortgang, bleicher und knochiger, und zeigte die ersten Spuren einer Abwehr gegen die Sehnsucht. »Mein Gott«, sagte sich Ursula bestürzt, »nun sieht er aus wie ein Mensch, der zu allem fähig ist.« Er war es. Der Aztekenschal, den er Amaranta mitgebracht hatte, die Erinnerungen, die er bei Tisch wachrief, die lustigen Anekdoten, die er erzählte, waren nichts als Asche seines einstigen Humors. Kaum war der Befehl zur Beerdigung der Toten im Massengrab ausgeführt, trug er Oberst Roque Fleischer auf, die Aburteilungen des Kriegsgerichts voranzutreiben, und widmete sich selbst der mühsamen Aufgabe, die radikalen Reformen durchzuführen, die in dem eingestürzten Gebäude des konservativen Regimes keinen Stein auf dem anderen ließen. »Wir müssen den Parteipolitikern zuvorkommen«, sagte er zu seinen Ratgebern. »Wenn sie die Augen aufmachen, müssen sie sich vor vollendete Tatsachen gestellt sehen.« Nun beschloß er, die Landbesitzurkunden hundert Jahre rückwärts zu überprüfen, und entdeckte die legalisierten Gaunereien seines Bruders José Arcadio. Mit einem Federstrich machte er die Eintragungen ungültig. Dank einer letzten Geste der Höflichkeit ließ er seine Angelegenheiten eine Stunde lang liegen und besuchte Rebeca, um sie über seine Entschlüsse ins Bild zu setzen.
    Im Halbdunkel des Hauses war die einsame Witwe, die einmal die Mitwisserin seiner verdrängten Liebe gewesen war und deren Hartnäckigkeit ihm das Leben gerettet hatte, ein Gespenst der Vergangenheit. Bis zu den Handgelenken in Schwarz gehüllt und das Herz in Asche verwandelt, hörte sie kaum etwas vom Krieg. Oberst Aureliano Buendía hatte den Eindruck, daß das Leuchten ihrer Knochen ihre Haut durchdrang und daß sie sich in einer irrlichternden Atmosphäre bewegte, in einer stillstehenden Luft, die insgeheim nach Schießpulver roch. Zunächst riet er ihr, die Strenge ihrer Trauer zu mildern, das Haus zu lüften, der Welt José Arcadios Tod zu verzeihen. Doch Rebeca lebte bereits jenseits von jeder Eitelkeit. Nachdem sie dieser Eitelkeit vergeblich im Geschmack der Erde, in Pietro Crespis parfümierten Briefen, im stürmischen Bett ihres Mannes nachgejagt war, hatte sie den Frieden in diesem Haus gefunden, in dem die Erinnerungen kraft unerbittlichen Wachrufens Wirklichkeit wurden und wie Menschenwesen durch die verschlossenen Zimmer wandelten. In ihrem Korbschaukelstuhl ruhend und Oberst Aureliano Buendía anblickend, als gleiche er einem Gespenst aus der Vergangenheit, blieb Rebeca völlig unberührt von der Nachricht, daß die von José Arcadio widerrechtlich beschlagnahmten Ländereien an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben würden.
    »Es wird geschehen, was du anordnest, Aureliano«, seufzte sie. »Ich habe es immer geglaubt, und ich wiederhole es: du bist aus der Art geschlagen.«
    Die Überprüfung der alten Besitzurkunden vollzog sich zu gleicher Zeit wie die unter dem Vorsitz von Oberst Gerineldo Márquez abgehaltenen summarischen Prozeßverhandlungen, die in der Erschießung des gesamten von den Revolutionären gefangenen Offizierskorps des regulären Heeres gipfelten. Das letzte Kriegsgericht betraf General José Raquel Moncada. Ursula verwandte sich für ihn. »Er ist der beste Gouverneur, den wir in Macondo gehabt haben«, sagte sie zu Oberst Aureliano Buendía. »Ich brauche dir von seinem guten Herzen, von seiner Liebe zu uns nichts vorzuschwärmen, weil du ihn besser kennst als alle anderen.« Oberst Aureliano Buendía heftete einen vorwurfsvollen Blick auf sie:
    »Ich maße mir nicht die Fähigkeit an, Recht zu

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