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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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genausowenig mehr wie Arcadio in früherer Zeit. Es war, als habe seine Rückkehr ins Haus und die Möglichkeit, sein Leben zu genießen, ohne von täglichen Dringlichkeiten belästigt zu werden, in ihm die Neigung zu Lüsternheit und Trägheit seines Onkels José Arcadio geweckt. Seine Leidenschaft für Amaranta erlosch, ohne Narben zu hinterlassen. Nun ließ er sich treiben, spielte Billard, suchte seine Einsamkeit durch Gelegenheitsliebschaften zu überwinden und durchstöberte die Schlupfwinkel, in denen Ursula ihr verstecktes Geld vergessen hatte. Bald kam er nur noch zum Umziehen nach Hause. »Alle sind gleich«, klagte Ursula. »Anfangs sind sie leicht zu erziehen, sind gehorsam, pflichtbewußt und scheinbar unfähig, einer Fliege etwas zuleide zu tun. Aber kaum sprießt ihnen ein Barthaar, stürzen sie sich gleich ins Verderben.« Im Gegensatz zu Arcadio, dem seine wahre Herkunft nie offenbart wurde, erfuhr er, daß er ein Sohn der Pilar Ternera sei, die für ihn eine Hängematte in ihrem Haus aufgespannt hatte, damit er bei ihr seine Mittagsruhe halten könne. Noch mehr als Mutter und Sohn waren sie Mitverschworene der Einsamkeit. Pilar Ternera hatte die letzte Spur von Hoffnung verloren. In ihrem Lachen klangen jetzt Orgeltöne mit, ihre Brüste hatten sich dem Überdruß gelegentlicher Liebkosungen bequemt, Bauch und Muskeln waren dem unwiderruflichen Schicksal einer verbrauchten Frau zum Opfer gefallen, doch ihr Herz alterte ohne Bitterkeit. Fett, geschwätzig, eitel wie eine Matrone im Unglück, verzichtete sie auf die unfruchtbare Selbsttäuschung der Kartenspiele und fand stillen Trost in den Liebschaften fremder Leute. In dem Haus, in dem Aureliano José seinen Mittagsschlummer hielt, empfingen die jungen Mädchen der Nachbarschaft ihre Gelegenheitsliebhaber. »Leih mir doch dein Zimmer, Pilar«, sagten sie einfach, wenn sie schon darin standen. »Natürlich«, sagte Pilar. Und wenn sie Besuch bekam, erklärte sie diesem:
    »Ich bin glücklich, wenn die Leute im Bett glücklich sind.«
    Nie ließ sie sich dafür bezahlen. Nie versagte sie einen derartigen Gefallen, wie sie sich auch nie den ungezählten Männern versagte, die sie noch in der Dämmerung ihrer Reife aufsuchten und sie nie mit Geld oder Liebe und auch nur bisweilen mit Vergnügen entschädigten. Ihre fünf Töchter, Erbinnen eines so glühenden Kerns, verirrten sich von früher Jugend an auf den Umwegen des Lebens. Von den zwei Buben, die sie aufzuziehen vermochte, fiel der eine in den Kampftruppen des Obersten Aureliano Buendía, der andere wurde mit vierzehn Jahren verwundet und gefangengenommen, als er in einem Moordorf einen Korb Hühner zu stehlen versuchte. In gewisser Weise war Aureliano José der hochgewachsene, dunkle Mann, den der Herzkönig ihr ein halbes Jahrhundert lang angekündigt hatte und der wie alle Spielkartengesandten schon vom Tode gezeichnet zu ihrem Herzen gelangte. Sie sah ihn in den Karten.
    »Geh heute abend nicht aus«, sagte sie zu ihm. »Schlafe hier. Carmelita Montiel liegt mir dauernd in den Ohren, ich soll sie in dein Zimmer lassen.«
    Aureliano José begriff nicht die dringende Bitte, die das Angebot enthielt.
    »Sag ihr, sie soll mich um Mitternacht erwarten.«
    Er ging ins Theater, wo eine spanische Kompagnie >Der Dolch des Zorro< spielte, ein Stück, das in Wirklichkeit Zorillas >Der Dolch des Goten< war; doch der Name war auf Befehl des Hauptmanns Achilles Ricardo verändert worden, da die Liberalen die Konservativen Goten nannten. Erst als er seine Eintrittskarte am Eingang vorzeigen wollte, merkte Aureliano José, daß Hauptmann Achilles Ricardo mit Hilfe zweier gewehrtragender Soldaten die Zuschauer zurückdrängte. »Vorsicht, Hauptmann«, warnte ihn Aureliano José. »Noch ist der Mann nicht geboren, der Hand an mich legt.« Der Hauptmann versuchte ihm gewaltsam den Eintritt zu verwehren, so daß Aureliano, der unbewaffnet war, die Flucht ergreifen mußte. Die Soldaten mißachteten den Feuerbefehl. »Er ist ein Buendía«, erklärte einer von ihnen. Blind vor Wut entriß der Hauptmann ihm das Gewehr, pflanzte sich mitten auf der Straße auf und zielte.
    »Scheißkerls!« brachte er nur schreiend hervor. »War's wenigstens Oberst Aureliano Buendía!«
    Carmelita Montiel, eine zwanzigjährige Jungfrau, hatte soeben ein Orangenblütenbad genommen und streute gerade Rosmarinblätter auf Pilar Terneras Bett, als der Schuß krachte. Aureliano José war dazu bestimmt gewesen, bei ihr das Glück zu

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