Hundert Jahre Einsamkeit
Anfangs entschieden diese Besprechungen den Verlauf eines Kriegs in Fleisch und Blut, dessen bestimmbare Umrisse in jedem Augenblick den genauen Standort ermitteln und dadurch seine künftigen Ziele voraussehen ließen. Wenngleich er sich nie, auch nicht von seinen nächsten Freunden, auf das Gelände der Vertraulichkeiten locken ließ, pflegte Oberst Aureliano Buendía damals den privaten Ton, der ihn am anderen Ende des Drahtes erkennen ließ. Häufig zog er die Unterhaltungen über das vorgesehene Zeitziel hinaus und schweifte in Randbemerkungen häuslichen Charakters ab. Doch als der Krieg an Heftigkeit und Ausdehnung zunahm, verschwamm sein Bild nach und nach in einer Welt der Unwirklichkeit. Die Punkte und Gedankenstriche seiner Rede wurden immer ferner und unsicherer, sie verbanden und verknüpften sich zu Wörtern, die allmählich jeden Sinn verloren. Bedrückt von dem Eindruck, mit einem Unbekannten aus einer anderen Welt in telegrafischer Verbindung zu stehen, beschränkte sich Oberst Gerineldo Márquez nunmehr aufs Zuhören.
»Verstanden, Aureliano«, schloß er, auf die Tasten drückend. »Es lebe die liberale Partei!«
Schließlich verlor er jede Berührung mit dem Krieg. Was in anderer Zeit eine echte Tätigkeit, eine unwiderstehliche Leidenschaft seiner Jugend gewesen war, verwandelte sich für ihn in einen fernen Bezugspunkt: in Leere. Nun war seine einzige Zuflucht Amarantas Nähstube, die er jeden Nachmittag besuchte. Es gefiel ihm, ihre Hände zu betrachten, während sie auf der Nähmaschine, deren Handkurbel Remedios die Schöne bediente, Musselinspitzen plissierte. Mit der gegenseitigen Gesellschaft zufrieden, verbrachten sie viele Stunden wortlos, doch während Amaranta es insgeheim genoß, das Feuer seiner Hingabe zu schüren, waren für ihn die geheimen Absichten dieses unergründlichen Herzens ein Rätsel. Als man von seiner Rückkehr sprach, erstickte Amaranta fast vor Ungeduld. Doch als sie ihn inmitten der lärmenden Leibwache von Oberst Aureliano Buendía ins Haus treten sah, mitgenommen von den Qualen der Verbannung, gealtert von den Jahren und dem Vergessen, verklebt von Schweiß und Pulver, nach einem Kriegshaufen riechend, häßlich, den linken Arm in der Binde, fühlte sie tiefe Enttäuschung. Mein Gott, dachte sie: Es ist nicht der, den ich erwartet hatte. Am darauffolgenden Tag indes kam er wieder ins Haus, sauber und rasiert, mit lavendelwasserbesprühtem Schnurrbart und ohne blutdurchtränkte Binde. Er brachte ihr ein perlmuttgebundenes Brevier mit.
»Seltsam sind die Männer«, sagte sie, weil ihr nichts anderes einfiel. »Ein Leben lang bekämpfen sie die Priester und verschenken Gebetbücher.«
Seither besuchte er sie jeden Nachmittag, auch an den kritischsten Kriegstagen. Oft, wenn Remedios die Schöne nicht zugegen war, drehte er die Kurbel der Nähmaschine. Amaranta fühlte Verwirrung angesichts der Beharrlichkeit, der Treue, der Ergebenheit dieses mit so viel Machtbefugnis betrauten Mannes, der übrigens seine Waffen im Wohnzimmer ablegte und wehrlos in die Nähstube trat. Vier Jahre hindurch beteuerte er ihr seine Liebe, und doch fand sie stets ein Mittel, ihn abzuweisen, ohne ihn zu verletzen, weil sie nicht mehr ohne ihn leben konnte, wenngleich sie ihn nicht zu lieben vermochte. Remedios die Schöne, die so gleichgültig wirkte und als geistig zurückgeblieben galt, war nicht unempfindlich gegen so viel Hingabe und beschloß, sich für Oberst Gerineldo Márquez zu verwenden. Plötzlich entdeckte Amaranta, daß dieses von ihr aufgezogene, kaum erblühte Kind das schönste Geschöpf war, das Macondo je gesehen hatte. Nun fühlte sie in ihrem Herzen den Groll wiedererwachen, den sie zu anderer Zeit gegen Rebeca genährt hatte, und, Gott bittend, er möge es nicht so weit kommen lassen, daß sie ihren Tod herbeiwünsche, verbannte sie die Schöne aus der Nähstube. Zu jener Zeit empfand Oberst Gerineldo Márquez zum erstenmal Ekel vor dem Krieg. So sammelte er all seine Überredungskunst, seine ungeheure, verdrängte Zärtlichkeit, bereit, für Amaranta auf einen Ruhm zu verzichten, für den er seine besten Jahre geopfert hatte. Doch er vermochte sie nicht zu überreden. An einem Augustnachmittag, erdrückt von der unerträglichen Last ihrer eigenen Hartnäckigkeit, schloß Amaranta sich in ihr Schlafzimmer ein, um dort ihre Einsamkeit bis zum Tod zu beweinen, nachdem sie dem eigensinnigen Bewerber ihre endgültige Antwort erteilt hatte:
»Wir wollen uns für immer
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