Hundsköpfe - Roman
verblüfft zu.
»Was schreibt er denn?« will Stinne wissen und stellt sich rasch hinter Großmutter.
Normalerweise steht in den Briefen von Onkel Knut nichts, worüber Großmutter laut spricht, es muß sich schon um eine ganz besondere Postkarte handeln. Sie setzt die Lesebrille auf und liest die gesamte Karte. Dann nimmt sie die Lesebrille ab und guckt uns alle in der Runde einmal an: »Er kommt am 2. Juni.« Ihre Stimme bricht. »Das ist ein Donnerstag.«
In der darauffolgenden Stille klingt mein »Er kommt!« wie ein Donnerschlag. Alle starren mich an. Stinne schlägt vor, daß wir ihn zum Strand mitnehmen. Signe hält das für eine richtig gute Idee, nur Vater gibt zu bedenken, daß wir doch gar nicht wüßten, ob Knut vielleicht andere Dinge vorhätte.
»Natürlich kommt er mit zum Strand«, sagt Mutter.
Großmutter strahlt. Sie hat Tränen in den Augen, ihre Hände fingern nervös an der Postkarte, und ihr Blick geht in Richtung Flur, wo Askild ganz still geworden ist.
»Wo ist er denn jetzt?« fragt Vater, und Großmutter erzählt, daß Knut das letzte Jahr auf Jamaika gewohnt hat. »Jamaika!« schreie ich. »Jamaika, Jamaika!«
»Er hat seine eigene Firma«, sagt Großmutter, allerdings mag Vater das nicht so recht glauben, denn Großmutter schmückt Onkel Knuts Geschichte gern ein wenig aus.
»Wir werden ja sehen«, sagt Vater und kann seine Freude nur schwer verbergen.
Großmutter schaut erneut zum Flur, wo Askild langsam erscheint. »Jetzt hat er schon wieder Bier geklaut«, sagt Stinne und zeigt auf Großvaters rechte Jackentasche. Askild zieht ein paar Flaschen Starkbier der Sorte Giraffe aus der Tasche und grinst dümmlich. Die Münzsammlung scheint vergessen, und schließlich setzt er sich wieder. Jetzt, da wir bald Besuch aus Jamaika bekommen werden, möchte er gern einen Rum trinken; Vater holt die Rumflasche aus dem Barschrank mit den getönten Scheiben und schenkt ein. Askild trinkt seinen Rum in einem Zug und gießt sich ein weiteres Glas ein. Dann rülpst er laut und schaut mich vorwurfsvoll an: »Man rülpst nicht bei Tisch«, sagt er.
Askild und Bjørk sind sich in einem mit Birken bepflanzten Garten im Bergener Stadtteil Kalfaret begegnet. Ungefähr sieben Jahre später wurde Askild nach Sachsenhausen gebracht. Er war eine Art Schmuggler-Kollaborateur, der die Deutschen übers Ohr hauen wollte, indem er versuchte, ihnen einen Haufen Bauholz zu verkaufen, der eigentlich ihnen selbst gehörte.
Askild war mit Großmutters Bruder Ejlif befreundet und kam regelmäßig ins Haus am Kalfarvei. Manchmal kam er auch zu Besuch, wenn Ejlif nicht zu Hause war. Einmal hat er Großmutter draußen im Garten unter den hellen Birkenbäumen geküßt, und danach etliche Male auf dem Assistensfriedhof von Bergen. Und obwohl im Haus gewisse Verdachtsmomente zirkulierten, durften sie doch gemeinsam allein sein, denn Ejlif deckte sie. Askild studierte Schiff- und Maschinenbau und war der Sohn eines Steuermanns, also nicht unbedingt die beste Partie für die Tochter eines Reeders.
Großvater indes war überzeugt, daß seine Familie vor langer Zeit der Französischen Revolution entkommen wäre und er blaues Blut in den Adern hätte. Er war dunkelhäutig wie ein Franzose, seine Augen glänzten wie Kohle, und sein Bart war so kräftig und schwarz, daß er sich mehrfach am Tage rasieren mußte, um nicht ungepflegt zu erscheinen. Damals war Askild ein ansehnlicher Kerl, wenngleich der sichtbarste Beweis für sein blaues Blut die blauen Ringe waren, die sich im Laufe der Jahre um seine mahagonifarbenen Augen gruben.
Es war ein harter Schlag, daß die Familie Svensson nichts von ihm wissen wollte, bevor sie bankrott ging. Großvater begann allmählich alles zu verachten, wofür Großmutters Familie stand, und schließlich wollte er nicht einmal ihr Erbe annehmen, die feinen Möbel und das Silbergeschirr, das Urgroßmutter Ellen aus dem Weg geschafft hatte, als der Bankrott unausweichlich schien – es blieb alles in Bergen, als Urgroßmutter Ellen viele Jahre später starb, und endete schließlich in den Taschen einer Umzugsfirma, weil Askild die Transportkosten nach Dänemark weder bezahlen wollte noch konnte. Aber damals – vor dem Krieg, vor der Pleite und den schicksalsschwangeren Jahren in Buchenwald und Sachsenhausen – mußte er sich damit begnügen, die Familie Svensson als einen Haufen Bauern aus dem Nordland zu bezeichnen, die auf anderer Leute Kosten dick und fett geworden waren, anstatt selbst
Weitere Kostenlose Bücher