Hundsmiserabel
wurde langsam rot. Aufstampfen mit dem Fuß, Luft holen. »Ich will
genau die
Torte. Eine«, natürlich konnte sie das Wort noch nicht richtig aussprechen, »Eierrekörorte!« Es war ein Gebrüll, das Tote hätte aufwecken können.
Meine komplette Familie war entsetzt, als Charlotte mit dem Kochbuch herumlief und erzählte, dass »Staffel jetzt eine Eierrekörorte« machen wollte, obwohl ich nicht einmal gesagt hatte, dass ich das tun würde.
»Du willst deine hilflose Schwester wohl umbringen?« Meine Mutter sah mich an, als wäre ich nicht ihre Tochter, sondern ein Au-pair-Mädchen aus Delhi, das nicht ihren Vorstellungen entsprach, von ihr aber trotzdem ausgenutzt wurde, weil es so billig war.
Mein Vater nahm Charlotte schnell auf den Arm, weil er wohl die Befürchtung hatte, ich würde klammheimlich hinter meinem Rücken eine Literflasche »Ei ei ei Verpoorten« rausholen und sie zwingen, den Inhalt auf ex hinunterzuschlucken. Ich glaube, er hatte in diesem Moment Angst vor mir.
Und ich? Ich hatte langsam keine Lust mehr auf die Feier!
Nur meine Oma, die an diesem Tage für längere Zeit angereist kam, fand die Idee mit der Eierlikörtorte gut. Sie ernährte sich damals vorwiegend von Eierlikör, Mon Chéri und diesen komischen bananenförmigen Pralinen, die mit Birnenschnaps gefüllt waren. Biss man falsch auf die Dinger, spritzte einem der ganze Mist mitten ins Gesicht, und man konnte froh sein, wenn ein Waschbecken in der Nähe war.
Jedenfalls: Charlotte schrie, tobte, kratzte und biss den ganzen Abend lang. Bis ich ihr versprach, eine Torte im Backbuch zu finden, gegen die eine Eierlikörtorte ein Nichts war. Sie hielt während des Vorgangs, die vergoldeten Walnüsse gegen das geschlossene Fenster zu donnern, inne und machte eine kurze Schreipause.
»Welche?«
»Das müssen wir noch sehen. Wir schauen noch mal ins Backbuch.«
»
Welche?«
Ich schnappte mir meine Schwester, zog sie in die Küche und setzte sie auf meinen Schoß. Blätterte das Backbuch durch und betete zu Gott, dass sie nicht auf
Whiskey-Trüffel-Torte
oder
Beschwipster Holländer
deutete. Aber ich hatte Glück. Sie fand etwas ganz anderes. Ihr gefiel der Name, den ich ihr vorlas, nachdem sie auf das Bild gedeutet hatte.
Kalter Hund.
»Ich will einen kalten Hund!«
»Wirklich?«
»Kalter Hund ist toll! Weiß und braun, das sieht lustig aus.«
»Ich liebe dich!«
Das war am 20. Dezember 1979. Bis zu diesem Tag war mein Leben noch okay gewesen. Gut, es gab Höhen und Tiefen. Mal schrieb ich eine Fünf, mal eine Sechs, mal hatte ich mich mit meiner besten Freundin zerstritten, um mich dann sowieso wieder mit ihr zu vertragen, mal fand ich alles zum Kotzen und dann wieder nicht. So was eben. Aber am 21. Dezember, am nächsten Tag, war nichts mehr so wie vorher.
Ich stand um neun Uhr auf. Schließlich wollte ich einen Kalten Hund backen. Dass es sich, streng genommen, nicht um richtiges Backen handelte, das habe ich erst rausgefunden, nachdem ich den Backofen vorgeheizt hatte. Nein, man muss einfach Puderzucker, geschmolzenes Kokosfett, Eier, Vanillinzucker und Kakao zusammenmischen und diese Masse dann schichtweise in eine Kastenkuchenform einfüllen. Eine Schicht Kakaomasse, eine Schicht Butterkekse und so weiter. Dann den Kalten Hund einfach für ein paar Stunden in den Kühlschrank stellen. Ganz einfach. Charlotte würde begeistert sein. Aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail.
Im Rezept stand nämlich noch:
Eine Flasche Rumaroma in die Kakaomasse unterrühren.
Und natürlich hatten wir kein Rumaroma im Haus. Unsere Eltern waren einkaufen, Oma spazieren, und Handys, um Vati eben anzurufen und zu bitten, doch vom Edeka Rumaroma mitzubringen, gab es leider noch nicht. Außerdem:
Rumaroma?
Konnte man das so ohne weiteres für Kinder verwenden? In meiner Verzweiflung rief ich bei der Mutter meiner besten Freundin an, die mir lachend versicherte, Rumaroma sei absolut verträglich für Kinder. Das beruhigte mich zwar, half aber nicht weiter. Ich hatte ja kein Rumaroma. Und ich wollte den hochwichtigen Geburtstagskuchen für meine Schwester unbedingt so zubereiten, wie es im Backbuch angegeben war. Punkt.
Also bin ich auf die Suche gegangen. Und tatsächlich: Ich wurde fündig, in der Hausbar im Wohnzimmer. Von Aroma stand zwar nichts auf der Flasche, aber doch zumindest:
Strohrum, 80
?
%
. Ich habe nachgedacht. Wein war aus Weintrauben, Mirabellenschnaps aus Mirabellen, Eierlikör aus Eiern. Und Strohrum? Genau: aus Stroh.
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