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Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall

Titel: Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Ihren Kindern?»
    «Weil ich nicht mag!» Er lachte keckernd. «Die sollen ihr Leben leben, und ich leb meins, bis es zu Ende ist. Ich brauch das Gefühl, dass ich in München bin. Nur das Gefühl, das reicht schon. Mich hat’s schon ganz krank gemacht, in dieser Reha-Klinik am Starnberger See zu sein. Waren Sie schon mal in der Reha?»
    Laura schüttelte den Kopf.
    «Da können S’ aber froh sein. Wünschen S’ Ihnen des nicht. Da fühlt man sich wie in einem Luxusgefängnis!»
    Er stieß die Wohnzimmertür weit auf und ließ Laura eintreten, ganz Kavalier der alten Schule, wie bei ihrer ersten Begegnung. Das Zimmer kam Laura noch vollgestopfter vor als damals. Alle Möbel waren zu groß für den Raum – das klobige Büfett aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, der lange Esstisch mit der gemusterten Tischdecke, das Sofa mit den vielen Kissen, die hohen Stühle, die unzähligen Beistelltische und vor allem das monströse Gemälde in seinem bombastischen Goldrahmen: eine Kopie des Früchtekranzes von Rubens. Vielleicht lag es an der Hitze, die jede Beengung noch unerträglicher machte.
    Laura wartete darauf, dass der alte Herr ihr einen Schnaps anbieten würde, wie beim letzten Mal, doch er tat es nicht, sondern setzte sich in einen riesigen grünen Sessel mit Samtbezug, in dem er noch zarter aussah als ohnehin schon. Sein Atem ging schwer, immer wieder wischte er sich mit zitternder Hand über die Stirn, dann über sein dichtes weißes Haar.
    «Man schwitzt die ganze Zeit, nicht wahr? Auch wenn man gar nichts tut!» Er hüstelte nervös.
    «Ja, auch wenn man gar nichts tut.» Laura wartete.
    Jetzt stand er auf.
    «Wollen Sie ein Glas Wasser?»
    «Später vielleicht.»
    Er setzte sich wieder, rieb die Handflächen aneinander und sah sie aufmerksam an.
    «Was ist denn mit Ihrem Auge passiert, Frau Kommissarin?»
    «Unfall beim Nahkampftraining.»
    «Das sieht ja schlimm aus.»
    «Ist aber nicht so schlimm.» Laura setzte ihre Sonnenbrille auf.
    «Mich stört’s nicht, wenn Sie deswegen die Brille aufsetzen, Frau Kommissarin.»
    «Deswegen setz ich sie nicht auf.»
    «Ja dann.» Er seufzte tief. «Wo soll ich anfangen …» Er warf Laura einen ratlosen Blick zu.
    «Wo Sie wollen, Herr Mayer. Ich hör einfach zu.»
    «Ja, natürlich. Also, ich hatte viel Zeit zum Nachdenken im Krankenhaus und in der Reha und … Also, ich find, dass der Dobler es nicht verdient, dass sich so viele Leute den Kopf über sein Ableben zerbrechen. So, jetzt ist es heraußen!»
    Laura antwortete nicht sofort, sondern beobachtete zwei dicke Fliegen, die um die Deckenlampe kreisten. Wenn sie zusammenstießen, flogen sie wirre Kurven, kehrten aber schnell wieder in den Kreis unter der Lampe zurück, als würden sie durch ein magnetisches Feld angezogen.
    «Und warum nicht?», fragte sie endlich.
    «Ich hab Ihnen schon damals erzählt, dass er viele Leute verraten hat. Ein paar sind nie wiedergekommen aus Dachau oder wo sie gelandet sind.»
    «Und die, die wiedergekommen sind?»
    «Da lebt keiner mehr, wenn Sie auf die spekulieren. Von denen hat’s keiner getan.» Er hustete, stand wieder auf und ging zu dem unförmigen Büfett. Laura wurde bewusst, dass das Wort Büfett von weit her aus ihrer Vergangenheit aufgetaucht war. Niemand sagte heute Büfett zu einem Wohnzimmerschrank mit Aufsatz. Ihre Großmutter hatte das Wort benutzt, das war es. Karl-Otto Mayer öffnete den Schrank, nahm eine Flasche heraus und zwei kleine Gläschen.
    «Jetzt brauch ich doch einen Schnaps, sonst kann ich das nicht erzählen», sagte er leise. «Sie auch, Frau Kommissarin?»
    «Besser nicht», murmelte Laura, und der alte Mann nickte grimmig.
    «Ich lass das Glas stehen. Kann schon sein, dass Sie später einen brauchen, Frau Kommissarin.»
    Wie beim letzten Mal füllte er sein Gläschen nur halb, trank es in einem Zug leer und füllte es ein zweites Mal zur Hälfte. Dann setzte er sich wieder in den grünen Sessel.
    «Wir haben damals jemanden versteckt, müssen Sie wissen. Von Ende 1943 bis ein paar Monate vor Kriegsende. Esther Maron hieß die Frau.» Er nickte vor sich hin. «Sie hatte eine kleine Tochter, die Lea. Ihr Mann war bei der Stadtverwaltung angestellt, aber dann haben sie ihn entlassen, weil er Jude war, und gleich abtransportiert. Meine Frau und ich und ein paar andere in der Genossenschaft waren mit den Marons befreundet. Als es passierte, war ich gerade auf Heimaturlaub von der Front, durfte eine Lungenentzündung auskurieren. Wir

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