Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
irgendwas einließ, bot er Laura Schnaps an und erklärte, dass er nur sehr ungern über die alten Zeiten spreche.
Immerhin ließ er sich so weit auf die Vergangenheit ein, dass er sich an den Dobler erinnerte und daran, dass der die Bewohner der Genossenschaft bespitzelt und einige an die Gestapo verraten hatte. Dann fiel ihm noch ein, dass der Dobler nach dem Krieg die besonders eifrigen Nazis an die Amerikaner verkauft hatte und auf diese Weise immer ganz gut durchgekommen war. Und er hatte noch etwas Wichtiges gesagt, der alte Herr Mayer: «Da hat jemand lang nach ihm gesucht.»
Nach dieser Begegnung hatte Laura den Fall an Peter Baumann übergeben, weil sie Commissario Guerrini Ermittlungshilfe in Siena leisten musste. Sehr zum Missfallen und zur Erheiterung mancher Kollegen. Schließlich wussten die meisten, dass Guerrini nicht nur ein Kollege, sondern auch Lauras Liebhaber war.
In der Zeit ihrer Abwesenheit hatte Karl-Otto Mayer einen Herzinfarkt erlitten. Die Ärzte wehrten seither jegliches Gespräch mit ihm nachdrücklich ab, und so ging nichts mehr weiter. Es gab nicht mehr viele Zeitzeugen. Die wenigen, die noch am Leben waren, verweigerten fast alle die Aussage oder litten an Demenz.
Laura warf den Rest des Apfels über die Balkonbrüstung in den Garten. Sie zog kurz den Kopf ein, weil sie nicht nachgesehen hatte, ob unten jemand war. Als kein Aufschrei ertönte, atmete sie auf. Karl-Otto Mayer hatte sich gemeldet. Jetzt konnte sie endlich weitermachen.
Zwei Stunden später stand sie vor dem behäbigen Mietshaus aus der Gründerzeit, in dem Karl-Otto Mayer seit beinahe siebzig Jahren wohnte. Er war nie umgezogen. Seine Kinder waren hier aufgewachsen, seine Frau hier gestorben. Die Häuser hatten viele Renovierungen erlebt, aus dem Kriegsgrau war allmählich ein freundliches Ockergelb geworden. In den Hinterhöfen wurde kein Gemüse mehr angebaut, wie nach dem Krieg, stattdessen gab es Rasenflächen, Sandkästen, Schaukeln und Blumenbeete. Das wusste Laura nicht vom alten Herrn Mayer, sondern von ihrem Vater, der ebenfalls sein ganzes Leben im Norden Schwabings verbracht hatte.
Das ist ein Fall der alten Männer, dachte sie. Kein Wunder, dass Baumann keine Lust darauf hat. Er ist zu jung. Sie zögerte kurz, ehe sie auf den Klingelknopf unter dem Namen Mayer drückte. Er erwartete sie, sie hatte ihn angerufen und gefragt, ob er heute mit ihr sprechen wolle. Regelrecht ungeduldig war er gewesen. Wo sie denn die ganze Zeit gesteckt hätte?
Der Summer ertönte, eine Schwingtür trennte den Eingangsbereich vom Treppenhaus. Drinnen roch es ganz leicht nach Bohnerwachs. Laura mochte diesen Geruch, er erinnerte sie an ihre Kindheit. Auch sie hatte mit ihren Eltern in einem Mietshaus mit Holztreppe gewohnt, und diese Treppe war ebenfalls regelmäßig gewachst und gebohnert worden, was ihren Vater sehr erboste, weil er immer wieder ausglitt und sich irgendwas prellte oder verstauchte. Er hatte es immer zu eilig, der Herr Rechtsanwalt. Langsam stieg Laura die Stufen bis in den zweiten Stock hinauf. Sie lächelte über das Schild am Geländer: «Vorsicht, frisch gebohnert!» Der Schriftzug in steiler Schönschrift sah aus, als wäre er mindestens fünfzig Jahre alt. Karl-Otto Mayer erwartete sie an seiner Wohnungstür, ein wenig dünner und zerbrechlicher als bei ihrem ersten Treffen, aber durchaus aufrecht.
«Da sind Sie ja endlich, Frau Kommissarin.»
«Ja … warum endlich?»
«Ich wollt schon seit Wochen mit Ihnen reden, aber die Ärzte haben mich nicht gelassen, weil ich mich nicht aufregen sollte. Aber ich hab mich dauernd aufgeregt, weil sie mich nicht mit Ihnen haben reden lassen! Ich hab’s dann aufgeschrieben, was ich Ihnen sagen wollt. Damit es nicht verloren geht. In meinem Alter weiß man ja nie, wann der Herrgott einen ruft.» Er geriet ganz außer Atem durch diese lange Rede.
«Jetzt bin ich da und freu mich, dass Sie mit mir reden wollen», erwiderte Laura. «Und wir haben ganz viel Zeit.»
«Haben wir das?» Er hustete, nahm ihre Hand und zog sie in den Flur seiner Wohnung. Es roch ein bisschen muffig.
«Ist lang nicht gelüftet worden», murmelte er entschuldigend. «Ich war ja wochenlang weg. Meine Kinder haben mich zweimal besucht. Es ist weit von Hamburg nach München. Da kann man nichts machen. Die wollten schon wieder, dass ich meine Wohnung aufgeb und in ihre Nähe zieh. Weil ich so krank war und so weiter. Fangen immer wieder damit an!»
«Und warum ziehen Sie nicht zu
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