Hundszeiten: Laura Gottbergs fünfter Fall
Warte doch. Ich … ich könnt uns ’n Kaffee machen. Ich wohn nur zehn Minuten von hier.»
Laura blieb mitten im Fluss stehen und drehte sich erstaunt zu ihm um.
«Kaffee?»
«Ja, klar!» Er war ebenfalls aufgestanden und scharrte mit seinen nackten Füßen in den Kieseln herum.
«Wo wohnst du denn?»
Er drehte sich zweimal im Kreis, kickte ein paar Steine weg und steckte die Fäuste tief in die Taschen seiner kurzen Jeansjacke.
«Nich weit von hier. Ganz in der Nähe vom Friedensengel, wenn du den kennst.»
«Ach so?»
«Klar!» Wieder drehte er sich, er verlor beinahe das Gleichgewicht. Laura musste über seine Verlegenheitspantomime lächeln.
«Nett von dir», antwortete sie. «Aber ich hab leider keine Zeit. Ich muss zur Arbeit, und vorher möcht ich mir noch ’n Eisbeutel auf mein Auge legen.» Sie watete weiter.
«He. Aber vielleicht morgen oder so …»
«Wenn du mir genau sagst, wo du wohnst, dann überleg ich’s mir vielleicht.»
«Is ganz leicht zu finden! Der Tunnel unterm Engel. Kannste gar nich verfehlen. Ich hab da ’n Anhänger stehen. Kleines Geschäft, musste wissen. Läuft nich schlecht.»
«Ah ja?»
«Klar. Seh vielleicht nich so aus.» Er hob eine Handvoll Steine auf und begann einen nach dem anderen ins Wasser zu werfen. Laura hatte inzwischen das Ufer erreicht.
«Kannst es dir ja überlegen!» Seine Stimme klang vage.
Laura antwortete nicht, winkte ihm nur kurz zu. Er zuckte die Achseln.
ALS LAURA ihre Wohnung betrat, fiel ihr die Stille auf. Beinahe hätte sie auf dem Rückweg aus lauter Gewohnheit frische Semmeln gekauft. Aber es war ja niemand da, der sich darüber freuen würde. Sie selbst begnügte sich derzeit mit Obst und Joghurt. Bei dieser Hitze konnte sie ohnehin kaum etwas essen. Die Stille war ungewohnt. Vor allem morgens. Dann sang oder pfiff Luca gewöhnlich im Bad, Sofia hörte in ihrem Zimmer eine CD und Laura in der Küche die Nachrichten.
Zwanzig vor sieben. Noch eine Stunde, dann musste sie ins Präsidium. Langsam ging Laura durch ihre Wohnung und öffnete eine Tür nach der anderen. Die Räume kamen ihr an diesem Morgen sehr groß vor. Groß und leer. Die Zimmer der Kinder zu aufgeräumt, ihr eigenes Schlafzimmer unordentlich, das Wohnzimmer unbehaust, nur die Küche erträglich. Sie nahm ein Kühlkissen aus dem Eisfach und hielt es an ihr lädiertes Auge. Ganz gegen ihre Gewohnheit bereitete sie sich eine Tasse Instantkaffee. Erst dann wagte sie sich ins Badezimmer vor den Spiegel.
Rund um ihr linkes Auge war das Gewebe blau und geschwollen. Laura wusste aus Erfahrung, dass diese Färbung erst der Anfang war. Die nächste Stufe würde schwarzlila aussehen, dann folgten grün und gelb. Zeit, eine neue Sonnenbrille zu kaufen, eine besonders große. Außerdem musste sie sich eine plausible Geschichte für ihre Kollegen einfallen lassen. Und für ihren Vater. Der Einzige, dem sie die wahre Ursache ihres Veilchens erzählen konnte, war Angelo Guerrini. Der würde lachen.
Vielleicht war der unerwartete Schlag des Obdachlosen gar nicht so schlecht gewesen. Jedenfalls fühlte Laura sich jetzt wacher als vorher. Sie duschte sehr kurz, um Wasser zu sparen, setzte sich dann im Morgenmantel auf ihren kleinen Balkon und trank den Instantkaffee, der inzwischen fast kalt war. Zum ersten Mal, seit ihre Kinder verreist waren, genoss sie die Ruhe, starrte nicht mit leerem Kopf vor sich hin, sondern nahm die Geschäftigkeit auf den Straßen wahr, nickte einer Nachbarin zu, die so früh am Morgen bereits ihre Wäsche aufhängte. Laura schaute den Spatzen zu, die immer wieder ihren Balkon anflogen, um aus dem Wassernapf zu trinken, den sie aufgestellt hatte. Sie erinnerte sich an die Zeit mit Angelo Guerrini vor zwei Monaten in Siena, sehnte sich nach ihm und war gleichzeitig erleichtert, ihn weit weg zu wissen. Aber das Mittelmeer hätte sie gern im Hinterhof gehabt, um jeden Morgen zu schwimmen.
Als kurz vor halb acht ihr Telefon klingelte, saß sie noch immer gedankenverloren und mit dem Kühlkissen auf dem linken Auge da. Seufzend stand sie auf und griff nach dem Telefon.
«Ja?»
«Bist du das, Laura?»
«Ich nehme es an.»
«Ah, Frau Hauptkommissarin belieben zu scherzen.»
«Eigentlich nicht. Was gibt’s denn? Wir sehen uns in einer halben Stunde, Herr Kommissar.»
Peter Baumann räusperte sich.
«Ich wollte nur besonders nett sein und dir die Fahrt ins Präsidium ersparen. Gestern Abend hat nämlich ein gewisser Karl-Otto Mayer angerufen – du
Weitere Kostenlose Bücher