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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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is hin, der pickt da oben irgendwo im Schnee!« Eine zwitschernde Stimme aus der Tiefe. Nein, zartes Kind, das da gerufen hat, indessen die braven Buben von der Feuerwehr Schaum zu verspritzen begannen, picken tu ich nicht im Schnee, sondern hier oben auf dem Baum, und hin bin ich auch noch nicht. Der Allmächtige wird mich jetzt nicht sterben und verderben lassen. Hoffentlich.
    Dieses ›Große Silberne Ehrenzeichen am Band‹ macht mich noch wahnsinnig. Eben hätte ich mir fast den Hals aufgeschlitzt daran. Eine Freude haben sie mir bereiten wollen zu meinem Geburtstag. Und dann – Achtung, da kracht ein Zweig! – die Mitternacht! Geht da die Tür von der mittleren Loge auf (ich habe ein paar Freunde eingeladen und drei Logen gehabt), geht da also die Tür auf, und herein kommt der Kreisky und sagt …

2
    »…daß der Herr Bundeskanzler auf dem Weg zu Ihnen ist, mein lieber Herr Formann«, sagte Österreichs Außenminister Dr. Bruno Kreisky. »Das ist aber lieb von ihm«, antwortete Jakob gerührt. Die Damen und Herren in seiner Loge erstarrten vor Ehrfurcht. Jakob zog an seiner Frackweste. Er besaß ein Dutzend Fräcke, und obwohl sein Schneider ihm immer wieder versicherte, der Frack sei der Anzug des Gentleman und so bequem zu tragen wie kein anderer, hatte Jakob sich niemals an diese Art von Kleidung gewöhnen können. Er haßte es, wenn er einen Frack anziehen mußte, und so war er denn mit den Jahren immer tiefer in das Hassen seiner Fräcke hineingeraten. Nur ein Sadist konnte so ein Ding erfunden haben! Der Metallknopf, der einem am Kragen die Luft nahm! Der beinharte Hemdeinsatz unter der Frackweste, der einen nicht leger sitzen ließ, sondern immer nur absolut aufrecht und steif, damit man das untere Ende nicht in die … in den Leib bekam! Die Bänder, mit denen Hemd und Weste festgezurrt werden mußten, als wäre man eine Rennjacht! Und die anderen Bänder, die verhinderten, daß die Hose hinunter und die Frackweste hinauf rutschten, indem sie beide verbanden! Die – ach was! Am schlimmsten war die entsetzliche Hitze, die so ein Frack entfachte – und dazu noch ein Opernhaus mit sechstausend Menschen und keiner Airconditioning.
    Wann immer er einen Frack tragen mußte, trank Jakob, ehe er sich ins Vergnügen stürzte, ein großes Glas Salzwasser. Das verhinderte Schweißausbrüche – eine Zeitlang wenigstens. Dafür mußte er dann aber auch stets Traubenzuckertäfelchen mit sich tragen. Wegen des Kreislaufs. Ach, dachte Jakob, waren das noch schöne Zeiten damals, 1945, als wir nichts zu fressen und keinen Groschen und nur alte Fetzen und durchlöcherte Schuhe hatten! Und noch nicht wußten, was Ährkondischenning ist …
    1965 kostete eine Loge für den Opernball im Ersten Rang offiziell 60 000 Schilling. Im ›Schleich‹ kostete sie das Dreifache. Jakob hatte, nachdem er das erfuhr, freiwillig pro Loge 180 000 Schilling bezahlt, denn er wußte, wie seine liebe, langjährige Freundin Christi Gräfin Schönfeldt, Arrangeurin aller Opernbälle, stets dafür sorgte, daß der Reinertrag dieses großen Festes denen zugute kam, die sehr alt oder sehr jung, auf alle Fälle aber sehr arm und sehr hilflos waren. Vor zwanzig Jahren war Jakob Formann das selber gewesen: sehr jung und sehr arm und sehr hilflos. So wie wir alle 1945 eben. Nein, noch etwas mehr! Danach allerdings war Jakob einiges passiert. Exemplarisches. Darum erzählen wir ja diese Geschichte.

3
    »Happy birthday to you, happy birthday to you, happy birthday, dear Jakob, happy birthday to you!« sang der Kanzler der Bundesrepublik Österreich, Dr. Josef Klaus, und viele, viele sangen mit.
    Jakob mußte mit den Tränen kämpfen.
    »Ich dank’ dir schön, Herr Kanzler«, sagte Jakob und fuhr sich mit einem Handrücken über die Augen. »Euch allen danke ich!«
    Die beiden Herren standen einander in Jakobs mit dunkelrotem Samt ausgeschlagener Mittelloge gegenüber. Von hinten strahlten nun Scheinwerfer herein und verbreiteten eine grauenvolle Hitze. Kameras klickten ununterbrochen. Andere surrten. Fernsehen und Wochenschau. Und in Jakobs Hort, der normalerweise acht, höchstens zehn Personen aufzunehmen imstande war, drängten immer neue Menschen, um dem Geburtstagskind die Hand zu schütteln – Minister (sieben, acht, neun, zählte Jakob mechanisch mit), Generalsekretäre politischer Parteien (eins, zwei, drei, vier), ausländische Diplomaten (elf, zwölf, dreizehn). Jakobs Gäste, allen voran seine geliebte, göttliche

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