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Ich beschütze dich

Ich beschütze dich

Titel: Ich beschütze dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny Hancock
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kommt.
    »Ich kann nicht schlafen, weil ich mir Sorgen um das Flusshaus mache. Die Fenster müssen erneuert werden. Das Dach. Und dann dein Stimmtraining.«
    »Was meinst du damit?«
    »Es kann Greg doch nicht recht sein, dass du im Haus Termine machst.«
    »Natürlich ist es ihm recht. Er hat mir geholfen, alles einzurichten! Das weißt du doch.«
    »Was hätte dein Vater nur gesagt? Dieses Kommen und Gehen Tag und Nacht. Das ist doch keine Art zu arbeiten, dass man die Leute bei sich zu Hause herumschnüffeln lässt.«
    »Ich habe durch die schlechte Wirtschaftslage schon ein paar Schüler verloren. Vielleicht leidet das Geschäft noch mehr.«
    Sie kommt zurück, mit einem Porzellanteller so unsicher in einer Hand, dass die Kekse beinahe herunterrutschen. Als ich aufstehe, um sie zu retten, weicht meine Mutter verärgert aus. Ich setze mich wieder.
    »Warum willst du dann unbedingt bleiben? Obwohl alle anderen sich verändern wollen? Warum machst du immer Probleme, Sonia? Greg glaubt, das Haus wäre … was war es noch, ein paar Millionen? Nein. Unmöglich! Ach je. Ich komme mit den Nullen durcheinander. Auf jeden Fall ist es eine Goldgrube! Aber du willst ja unbedingt bleiben!«
    »Du hast mit Greg gesprochen?« Ich merke selbst, wie scharf ich klinge.
    »Ab und zu ruft er an. Wir unterhalten uns. Das weißt du doch. Das Flusshaus hängt mir wie ein Mühlstein um den Hals. Es ist an der Zeit, dass etwas geschieht. Er versteht das. Nur du stellst dich quer, Sonia.«
    Mittlerweile bin ich kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Ich stehe auf und sage, ich müsste mal. In ihrem Badezimmer kralle ich mich am Rand des Waschbeckens fest, zähle bis zehn und versuche, meine Wut unter Kontrolle zu bekommen. Sie weiß, wie mich dieses Thema aufregt. Trotzdem fängt sie immer wieder davon an! Ich denke an die vielen Dinge, die ich für sie mache. Die kleinen Opfer, die ich ständig bringe, damit sie zufrieden ist, und trotzdem kann sie mich nicht da lassen, wo ich sein muss. Jetzt, da Jez friedlich im Musikzimmer liegt, verletzt mich das noch mehr. Ihretwegen habe ich darauf verzichtet, bei ihm zu sein. Was, wenn er geht, bevor ich zurückkomme? Wenn ich ihn verloren habe, weil ich sie mit Gin und ihrer Zeitung besänftigen wollte?
    Wieder in ihrem Wohnzimmer entschuldige ich mich und sage, dass ich an diesem Morgen nur zwanzig Minuten bleiben kann. Zum Glück scheint meine Mutter das Thema Flusshaus vergessen zu haben. Sie reicht mir einen Kaffee und verbringt den Rest meines Besuchs mit Erinnerungen an die Gesangslehrerin, die sie als Mädchen einmal im Klassenzimmer mit einem Stück Kreide beworfen hat. Sie erinnert sich noch an die Farbe des Lippenstifts, den die Lehrerin getragen hat. Sogar an den Choral, den sie an diesem Morgen gesungen haben.
    »Ich bitte nicht um Überfluss», stimmt sie mit brüchiger Stimme an. Ihre blassblauen Augen werden feucht, als sie in die Vergangenheit abdriftet. »Und Schätze dieser Erden, lass mir, so viel ich haben muss, nach deiner Gnade werden …«
    Dieses Abgleiten in frühere Zeiten soll ja im Alter normal sein, denke ich, als ich endlich wieder den Flur hinuntereile. Komisch ist nur, dass es mir in letzter Zeit, seit Kit ausgezogen ist, auch schon passiert.
    Erinnerungen schleichen sich an. Sie reiben sich an mir wie eine Katze, die einem um die Beine streicht und schnurrend keine Ruhe gibt. Aus heiterem Himmel heraus überkommt es mich. Manchmal ein Gefühl der Nostalgie, öfter eine bestürzende Welle aus Schuld, Scham und Bedauern. Ich wünschte, ich könnte mit meiner Mutter darüber reden, aber in ihren Reaktionen schwingen immer Kritik und Vorwürfe mit. Es gibt so viele Orte, an die ich mich mit ihr nicht wage.
    Greg und sogar Kit, die jetzt so alt ist wie ich, als ich das Haus zum ersten Mal verlassen habe, sagen, die Vergangenheit sei vorbei. Man macht weiter. Lange habe ich es auch so gesehen. Immerhin habe ich studiert und als Schauspielerin gearbeitet. Ich habe Greg geheiratet, eine Tochter bekommen und mich selbstständig gemacht. Die Vergangenheit war ausgelöscht. Manchmal macht es mich richtig benommen, wie viele Jahre verstrichen sind.
    Aber seit Kurzem weiß ich, dass Zeit nicht vergeht, sondern alles irgendwie zurückkehrt. So wie der Fluss in Greenwich eine Schleife beschreibt, erscheinen weit zurückliegende Jahre näher als andere, die gerade vergangen sind, und vergessene Augenblicke drängen sich in die Gegenwart. Zum Beispiel ist es ein Schock, ein

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