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Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg

Titel: Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hape Kerkeling
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scheinbar besonders schwer und siebt noch mal tüchtig, denn auf der folgenden Route ist schon so mancher noch knapp vor der Medaille aus dem Rennen geflogen.
    Wie viele Christen aus ganz Europa hier in den vergangenen Jahrhunderten ihr Leben gelassen haben, bezeugt der Pilgerfriedhof eindrucksvoll.
    Für diese Nacht kommen wir in einer kleinen Pension in der Stadtmitte preisgünstig und sauber unter.
    Erkenntnis des Tages:
    Mir selbst habe ich mich lang genug zugewendet.
    Jetzt sind die anderen an der Reihe!

11. Juli 2001 – Trabadelo und Vega de Valcarce
     
    Die Fortsetzung des Weges bietet zunächst zwei unterschiedliche Routen. Die eine, auch noch die längere, führt als gnadenlos steiler Naturpfad über die Berge, das ist der »Camino duro«, der harte Weg; die andere führt entlang der N6, einer viel befahrenen Nationalstraße, Richtung Vega de Valcarce. Beide Wege sind laut Pilgerfibel auf die eine oder andere Weise unbarmherzig.
    Gegen jede Gewohnheit und als ahnten wir, was auf uns zukommt, stehen Anne und ich sehr früh auf, trinken nur einen Kaffee und entscheiden uns intuitiv für den steilen Bergpass, der kurz hinter der Kirche für mein Wanderempfinden beinah senkrecht nach oben führt. Bereits nach fünf Minuten melden sich meine Knieschmerzen und kurz darauf beginnt mein ganzes Bein höllisch weh zu tun. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als die Strapaze abzubrechen, denn der ähnlich steile Abstieg würde mich als Pilger endgültig schachmatt setzen.
    Um meine Knie zu schonen, muss ich mich für die Alternativroute entscheiden. Anne hat jedoch höllische Angst vor der viel befahrenen Landstraße und bleibt auf dem Naturpfad.
    Etwa zwei Kilometer vor Vega treffen die beiden Strecken in Trabadelo wieder aufeinander und so verabschieden wir uns und verabreden uns dort auf einen – oder besser: fünf Milchkaffee! Jeder von uns hat nun vier Stunden unfreiwilligen einsamen Pilgerns vor sich.
    An der N6 angekommen, staune ich nicht schlecht. Es gibt keinen Gehsteig oder abgetrennten Pilgerweg auf der engen zweispurigen Landstraße, die das Gebirge durchschneidet. Stattdessen läuft man auf dem knapp einmeter undfünfzig breiten Seitenstreifen, während einem Hunderte von Autos und LKWs mit überhöhter Geschwindigkeit entgegenkommen, um dann mit ohrenbetäubendem Lärm an dem armen Wandervolk vorbeizurasen. Meiner unmaßgeblichen Ansicht nach dürften hier Fußgänger unter gar keinen Umständen erlaubt sein, aber das sieht der leichtfüßige Spanier anders!
    Rechts von mir liegt zum Greifen nah die Fahrbahn, links von mir, gleich unterhalb der verbeulten Leitplanke, in fünfzehn Metern Tiefe eine reißende, rauschende Klamm. Auf der anderen Seite der Fahrbahn entlang der Kalksteinfelswand wäre ein Fortkommen mit dem Verkehr im Rücken noch aussichtsloser.
    Um den vielen Schwertransporten auszuweichen, bleiben mir manchmal nur knapp zwanzig Zentimeter Platz und ich quetsche mich mit den Oberschenkeln gegen die hüfthohe Blechabsperrung und blicke starr vor Schreck in das wilde, laut brodelnde Wasser. Ohne auch nur die geringste Rücksicht zu nehmen schneiden mich insbesondere die Laster. Dabei weisen überdimensionale Verkehrswarnschilder eindeutig auf die Pilger hin. Die Fahrer haben zweifelsohne höllischen Spaß daran, die Wallfahrer richtiggehend zu piesacken.
    In den zahllosen unübersichtlichen Kurven wird es mörderisch gefährlich und ich kann nur noch rennen, um einer Kollision auszuweichen. So schnell das mit zehn Kilo Gepäck bei fünfunddreißig Grad im Schatten eben geht! Ein Knieschonprogramm ist das nicht, das ist der Schleudergang und setzt meinem Körper maßlos zu. Mental habe ich die Sache zweifelsohne zunächst besser im Griff. Ein ähnliches Programm erlebe ich nämlich ab und an in meinem Beruf; wenn auch nicht ganz so konkret.
    Jeder der Brummi-Fahrer nutzt inzwischen auch meinen schmalen Standstreifen als Fahrbahn. Es bleibt ihnen auf der immer enger werdenden zweispurigen Straße auch gar nichts anderes übrig. Zu allem Überfluss finden kontinuierlich waghalsige Überholmanöver auf beiden Fahrbahnen statt. Nach zwei Kilometern auf dieser Geisterbahn bin ich restlos bedient vom Krach, den Abgasen und der Gefahr und brülle jeden Autofahrer wütend an. Es reicht! Basta! Verpisst euch!
    Um der Fahrbahn mehr Raum abzutrotzen, halte ich meinen knapp einszwanzig langen Pilgerstab am gerade ausgestreckten Arm auf die Fahrbahn und erkämpfe mir so ganze zwei Meter Platz.

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