Ich Bin Dann Mal Weg: Meine Reise Auf Dem Jakobsweg
»Du siehst schrecklich aus! Wie war dein Weg?«, will sie dann natürlich wissen und während meiner Schilderung wird sie langsam so blass wie die Märchenfiguren um uns herum. Und bekommt ebenso wie ich ihren Kaffee nicht unmittelbar nach der zweiten Bestellung serviert.
Während wir unseren Kaffee trinken, den wir im Übrigen beinahe nicht hätten zu zahlen brauchen, beruhigen wir uns dann gegenseitig und ich bringe Anne im Schonwaschgang bei, dass noch sieben gruselige Kilometer Landstraße vor uns liegen und dass wir sie besser schnell hinter uns bringen.
Ohne große Diskussion brechen wir vom Märchenwald wieder auf zur doppelspurigen Geisterbahn Richtung Vega.
Die Straße hat dann noch eine echte Überraschung in petto, denn sie wird noch enger und die LKWs dafür immer schneller. So kommt es uns jedenfalls vor. Wie ein hysterisches Selbstmordkommando laufe ich brüllend voran und wedele heftig mit meinem langen Pilgerstab, um uns die Brummifahrerbrut so weit wie möglich vom Leib zu halten, während Anne hinter mir nach und nach ausrastet, flucht und verzweifelt anfängt, laut zu heulen.
Plötzlich bemerke ich im Augenwinkel, wie sie hinter mir ausbricht, mitten auf die Fahrbahn läuft und versucht, einen licht- und klanghupenden LKW mit Tarzanschreien zu stoppen, wobei dicke Tränen ihre Wangen herunterkullern. Das ist jetzt aber wirklich lebensgefährlich! Mit einem entschlossenen Klammergriff in den Nacken zerre ich die kleine Frau zurück auf den Standstreifen und kann sie nur knapp vor der Leitplanke wieder abbremsen. Ich bin kurz davor, ihr eine schallende Backpfeife zu geben, denn sie muss sich sofort wieder beruhigen. Unbeherrschtheit kann uns hier das Leben kosten. Mit Urlauten, die ich von mir definitiv noch nicht kannte, brülle ich sie nieder, was sie dermaßen erschreckt, dass sie danach schluchzend ganz lieb hinter mir hertrabt. In einem Sicherheitsabstand von zwanzig Metern trotte ich vor ihr her und versuche an uneinsehbaren Stellen trotz des grauenvollen Geräuschpegels des reißenden Gewässers akustisch zu orten, wie weit die nahezu ohne Unterbrechung vor uns fahrenden Wagen entfernt sein könnten.
Auf mein Kommando »Now! Jetzt!« legen wir dann alle fünfhundert Meter in den schlaufenförmigen Serpentinen mörderische Sprints hin und schreien uns dabei die Seele aus dem Leib, denn eine Hupe haben wir nun wirklich nicht dabei.
Ein LKW erwischt uns dann fast in einer Kurve! Er fährt haarscharf an mir vorbei. Der hat mich gar nicht bemerkt und erst im allerletzten Moment so was wie eine Reaktion gezeigt. Wahrscheinlich war das kein FC-Barcelona-Fan wie Anne! Herrje, ich weiß ja auch, dass einige nicht mehr ganz nüchtern sind. Wie viel die den ganzen Tag über trinken?
Als ein kleiner Wegweiser hinter einer Felswand links auf einen schmalen Pfad Richtung Vega deutet, hat der blanke Horror endlich ein Ende. Mein Gott, diese Rennerei auf der Straße! Das hat Nerven gekostet. Aber wir waren absolut im Moment und wir haben an nichts anderes denken können als an Now! Jetzt!
Wir haben dennoch beschlossen, offiziell beim spanischen König gegen diese pilgerunwürdige Behandlung zu protestieren. Sollten wir den Weg jemals wieder laufen, werden wir uns für diese Etappe einen Mietwagen nehmen. Und selbst dann bliebe ein gewisses Restrisiko.
Vollkommen entnervt und fertig landen wir wenig später im refugio von Vega. Außer uns sind zum Glück nur vier andere Pilger im Haus, denn Vega ist kein beliebter Ort für Übernachtungen. Was mich verwundert, denn das Dorf ist traumhaft gelegen.
Das Zweifamilienhaus- refugio liegt idyllisch direkt am Fuße der galizischen Berge an einem kleinen Fluss. Eine Frau hat ihre Privatwohnung umfunktioniert und zwanzig zeltartige doppelstöckige Betten in ihrem saalartigen Wohnzimmer aufgestellt. Die Señora selbst lebt in der Küche! Jeder Pilger kann sich so bei Bedarf in seiner Zeltkoje verkriechen. Was sicher keinen ausreichenden Schutz vor zwanzig anderen Leuten im Zimmer bietet. Heute Nacht sind wir aber nur zu sechst und draußen direkt neben der Terrasse rauscht das glasklare Flüsschen Valcarce, in dem man sogar schwimmen kann.
Anne und ich werfen uns sofort in unsere Badesachen und plantschen im Frischwasser und dösen danach auf der angrenzenden Wiese.
Morgen erreichen wir dann Galicien, die letzte Provinz, die es noch zu durchqueren gilt, und der »Camino duro« wird angeblich besonders hart und soll seinem Namen alle Ehre machen. Schlimmer
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