Ich bin dein, du bist mein
Taxi gegeben. Er war der Meinung, dass ich um diese Zeit nicht mehr mit dem Rad fahren sollte.«
»Sehr verantwortungsvoll, dieser Bogdan. Geradezu rührend«, stellte ihre Mutter mit ironischem Unterton fest.
»Ja, das ist er. Obwohl du bei seinem Anblick wahrscheinlich davonlaufen würdest. Er sieht aus wie der Türsteher eines Nachtclubs. Ist übrigens schwul«, sagte sie mit vollem Mund.
»Na dann«, sagte ihre Mutter, so als würde sie gar nichts mehr überraschen. Schließlich seufzte sie. Der letzte Rest von Anspannung schien von ihr abzufallen. »Ich gehe ins Bett.«
»Ist Robert da?« Robert war der Freund ihrer Mutter. Nach der Trennung von Judiths Vater war sie viele Jahre lang Single gewesen. Erst vor Kurzem hatte sie sich wieder auf eine Beziehung eingelassen. Und das tat ihr sichtlich gut. Und Judith ebenso. Denn vieles war seither im Hause Schramm entspannter geworden. Viel entspannter.
»Ja, aber er schläft schon.«
»Hattet ihr einen schönen Abend?«, fragte Judith.
Ihre Mutter gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Das, liebe Tochter, geht dich gar nichts an.« Sie wollte sich gerade zum Gehen wenden, als sie noch einmal innehielt. »Eine Frage habe ich aber noch.«
»Frag«, sagte Judith und leckte den Löffel ab.
»Wer hat eigentlich diese Fotos von Jan gemacht und sie dir geschickt?«
Judith hielt inne. Eine gute Frage. Eine, die auch Jan gestellt hatte. Und sie hatte sie vollkommen verdrängt. »Ich habe keine Ahnung. Sie lagen vor drei Tagen in der Post.«
Ihre Mutter blieb einen Moment unentschlossen stehen. »Du hast wirklich keine Ahnung, wer der Absender sein könnte?«
»Nein«, gab Judith zu und ein plötzliches Unbehagen machte sich in ihrer Magengegend breit. Irgendjemandem schien es offenbar sehr wichtig zu sein, dass sie wusste, mit wem Jan sie betrogen hatte. Und dieser jemand wollte um jeden Preis anonym bleiben.
Judith hätte in ihrem Zimmer am liebsten Gegenstände an die Wand geworfen. Vorzugsweise Jans Geschenke. Zum Beispiel sein gerahmtes Fotoporträt, das er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte.
Jan.
Der Gedanke an ihn versetzte ihr einen Stich. Sie setzte sich aufs Bett und weinte. Doch schließlich wischte sie sich mit der Hand über die Wangen und suchte in der Schublade ihres Nachtschränkchens nach Taschentüchern, fand aber keine.
Sie wusste nicht, was sie mehr verletzte: die Tatsache, dass er sie verraten und betrogen hatte. Oder dass er es ausgerechnet mit dieser magersüchtigen Vogelscheuchehatte tun müssen, deren Herz noch kälter war als das der Schneekönigin.
Judith ballte die Fäuste, presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen. Zerberus, der immer ein Gradmesser für ihre Stimmungen war, hob winselnd den Kopf und legte seine Schnauze auf ihr Knie. Sie streichelte ihn hinter den Ohren und tätschelte seine Seite. »Ist schon gut«, sagte sie leise. »Ist schon gut.«
Dann erhob sie sich, nahm eine Hose von ihrem Bürostuhl und setzte sich an den Schreibtisch. Sie drückte auf die Leertaste, um den Rechner aus dem Stand-by-Modus zu holen. Dann klickte sie das Skype-Icon an.
Die meisten ihrer Freunde waren noch online. Sie suchte in der Liste nach Kim, drückte den Anruf-Knopf und wartete. Es dauert nur wenige Sekunden, bis das Bild ihrer Freundin auf dem Monitor erschien.
»Judith!« Ihre Freundin sah bleich und müde aus. »Wieso bist du nicht an dein Handy gegangen? Hat der Kerl es dir etwa abgenommen?« Kim machte ein wütendes Gesicht.
Judith schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hab es stumm geschaltet. Bogdan war eigentlich ganz in Ordnung.«
»Bogdan?« Kim sah sie entgeistert an. »Habt ihr beide etwa Brüderschaft getrunken oder so was?«
»In der Art. Bogdan hat darauf verzichtet, die Polizeizu rufen, und mir stattdessen ein Taxi spendiert.« Judith rieb sich müde die Augen.
»Wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht«, sagte Kim.
»Ja, das habe ich gemerkt«, sagte Judith. »Ihr seid gerannt wie die Hasen.«
»Ich …«, begann Kim, aber Judith fiel ihr ins Wort.
»Ich weiß, dass es nicht deine Schuld war.«
»Wir hatten alle Schiss vor dem Köter«, sagte Kim und lächelte gequält.
Judith wusste, dass ihre Freundin Angst vor Hunden hatte. Selbst Zerberus, der der ängstlichste Beagle von hier bis Wladiwostok war, löste bei ihr einen Fluchtreflex aus.
»Tut mir leid«, sagte Kim und versuchte erneut zu lächeln.
»Ja, mir auch«, sagte Judith abwesend, als sie den Mauszeiger auf das E-Mail-Icon schob und die
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