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Ich bin Legende

Ich bin Legende

Titel: Ich bin Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Matheson
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Vielleicht stellte er den Projektor auf und sah sich einen Film an oder er aß etwas oder trank zu viel oder er schaltete die Musik so laut, dass seine Ohren schmerzten. Irgendetwas musste er tun, wenn es so schlimm wurde.
    Immer mehr verkrampften sich seine Bauchmuskeln. Er griff wieder nach dem Buch, versuchte laut zu lesen. Gequält und unsagbar langsam formten seine Lippen jedes Wort.
    Doch gleich darauf lag das Buch wieder auf seinem Schoß, und er starrte auf das Bücherregal ihm gegenüber. Alles Wissen und alle Weisheit in diesen Büchern vermochten die Feuer in ihm nicht zu löschen; alle Worte von Jahrhunderten konnten das brennende Verlangen seines Fleisches nicht stillen, das nichts mit seinem Verstand zu tun hatte.
    Die Erkenntnis machte ihn krank. Er empfand es als Beleidigung. Gewiss, dieser Trieb war nur natürlich, aber es gab keine Möglichkeit mehr, ihn zu befriedigen. Sie hatten ihn zum Zölibat genötigt, damit musste er leben. Du hast doch Verstand und Willen, sagte er sich. Also nutze sie!
    Er schaltete die Musik noch lauter, zwang sich ohne Unterbrechung eine Seite zu lesen - über Blutzellen, die sich durch Membranen drängen, über bleiche Lymphe, die das Gewebe mit Nahrungsstoffen versorgt und nicht verwertbare Substanzen entfernt, über Lymphozyten und Phagozyten.
    »... fließen in der linken Schultergegend, nahe dem Thorax in eine Vene.«
    Neville klappte das Buch heftig zu.
    Warum ließen sie ihn nicht in Ruhe? Bildeten sie sich denn ein, sie könnten ihn alle haben? Waren sie wirklich so dumm, dass sie das glaubten? Warum kamen sie immer wieder, jede Nacht? Nach fünf Monaten sollte man doch meinen, sie würden aufgeben und es anderswo versuchen.
    Er ging zur Bar und mixte sich noch einen Drink. Als er sich wieder seinem Sessel zuwandte, hörte er, wie Steine ratternd über das Dach rollten und in die Hecke neben dem Haus plumpsten. Und Ben Cortmans Stimme übertönte diese Geräusche.
    »Komm raus, Neville!«, brüllte er.
    Eines Tages schnapp ich mir diesen Bastard, dachte er, während er einen tiefen Schluck seines bitteren Drinks nahm. Eines Tages schlag ich ihm einen Holzpflock mitten in sein verdammtes Herz. Und für ihn mach ich ihn extra dreißig Zentimeter lang und bind ein Schleifchen drum!
    Morgen - morgen würde er das Haus schalldicht machen. Er ballte die Hände zu Fäusten mit weißen Knöcheln. Er hielt es nicht mehr aus, an diese Frauen zu denken. Wenn er sie nicht mehr hörte, würde er vielleicht auch nicht an sie denken. Morgen - morgen!
    Die Musik endete. Er nahm die Schallplatte vom Plattenteller und steckte sie in ihre Hülle zurück. Jetzt konnte er sie draußen noch deutlicher hören! Er legte die nächstbeste Platte auf und stellte das Gerät auf höchste Lautstärke.
    The Year of the Plague von Roger Leie schallte in seine Ohren. Geigen wimmerten, Tympana pochten wie der Schlag eines sterbenden Herzens, Flöten bliesen unheimliche atonale Melodien.
    In einem Wutanfall packte er die Schallplatte und brach sie über sein rechtes Knie. Schon lange hatte er sie zerbrechen wollen. Mit steifen Beinen ging er in die Küche und warf die Stücke in den Abfalleimer. Dann blieb er in der dunklen Küche stehen, kniff die Augen ganz fest zusammen, knirschte mit den Zähnen und presste die Hände auf die Ohren. Lasst mich in Ruhe! Lasst mich in Ruhe! LASST MICH IN RUHE!
    Es war sinnlos, nachts waren sie nicht zu schlagen. Warum es überhaupt versuchen? Es war ihre Zeit! Dumm von ihm, sich so zu benehmen, auch nur zu versuchen, sie zu schlagen. Sollte er sich einen Film ansehen? Nein, er hatte keine Lust, den Projektor aufzustellen. Es war besser, er ging ins Bett und stopfte sich Wattepfropfen ins Ohr. So endete jeder seiner Abende.
    Er bemühte sich, überhaupt nichts zu denken, und ging schnell ins Schlafzimmer. Dort zog er sich aus, dann schlüpfte er in seine Pyjamahose, ehe er sich ins Badezimmer verzog. Nie trug er das Pyjamaoberteil. Das hatte er sich in Panama während des Krieges angewöhnt.
    Beim Waschen schaute er in den Spiegel, betrachtete seine breite Brust, die dunklen Haare um die Warzen und die Mitte der Brust hinunter bis zur Pyjamahose, und das verschnörkelte Kreuz, das er sich im Suff eines Nachts in Panama auf die Brust hatte tätowieren lassen. Welch ein Narr war ich doch damals, dachte er. Aber vielleicht hatte ihm das Kreuz das Leben gerettet?
    Er bürstete sich sorgfältig die Zähne und reinigte die Zwischenräume noch zusätzlich mit Bindfaden.

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