Mass Effect 01 - Die Offenbarung

Prolog
    „Wir erreichen Arcturus. Ich deaktiviere den FTL-Antriebskern."
    Jon Grissom, Rear-Admiral der Allianz, der berühmteste Mann der Erde und ihrer drei interstellaren Kolonien, schaute kurz auf, als die Stimme des Steuermanns der SSV New Delhi über das schiffsinterne Intercom erklang. Eine Sekunde später spürte er deutlich den Bremsdruck, als der Masseeffekt-Feldgenerator des Schiffes herunterfuhr und die New Delhi von Überlichtgeschwindigkeit auf ein Tempo abbremste, das besser zum Einsteinschen Universum passte.
    Das sphärische Leuchten des vertrauten, rot verschobenen Universums drang durch das kleine Bordfenster und verwandelte sich allmählich in gewohntere Farbtöne, während das Schiff verlangsamte. Grissom hasste die Bordfenster. Die Navigation der Allianzschiffe erfolgte vollständig über Instrumente - sie erforderte keinerlei optische Hilfen. Aber alle Schiffe waren mit mehreren kleinen Bordfenstern versehen. Dazu kam mindestens ein großes, das sich üblicherweise auf der Brücke befand, als Zugeständnis an überholte romantische Ideale der Raumfahrt.
    Die Allianz bemühte sich sehr, diese romantischen Ideale zu erhalten - sie eigneten sich hervorragend zur Rekrutierung neuer Kadetten. Für die Leute auf der Erde waren die unerforschten Weiten des Alls immer noch ein Wunder. Die Ausbreitung der Menschheit über die Sterne war ein ruhmreiches Abenteuer voller Entdeckungen. Und die Geheimnisse des Raums warteten nur darauf, entdeckt zu werden.
    Grissom wusste, dass die Wahrheit viel komplizierter war. Er hatte selbst erlebt, wie kalt und schön die Galaxis sein konnte. Ein gleichermaßen wundervolles wie erschreckendes Erlebnis.
    Doch er wusste, dass es dort draußen einige Dinge gab, für die die Menschheit einfach noch nicht bereit war. Der geheime Funkspruch, den er heute Morgen von der Basis auf Shanxi erhalten hatte, war der beste Beweis dafür.
    Tief in ihrem Inneren waren die Menschen noch Kinder: naiv und behütet. Das war alles andere als überraschend. Schließlich hatte die Menschheit trotz ihrer langen Geschichte erst vor zweihundert Jahren die Fesseln der Erde abgestreift und sich in das kalte Vakuum des Weltraums gewagt. Und richtiges interstellares Reisen - die Fähigkeit, zu Orten außerhalb des eigenen Sonnensystems zu gelangen - war erst im letzten Jahrzehnt möglich geworden. Eigentlich war es sogar erst weniger als ein Jahrzehnt her ...
    Im Jahr 2148, also vor gerade mal neun Jahren, hatte ein Schürftrupp auf dem Mars tief unter der Oberfläche die Reste einer seit Langem verlassenen Station von Außerirdischen gefunden. Es wurde als die bedeutendste Entdeckung in der menschlichen Geschichte gefeiert. Ein einmaliges Ereignis, das alles für immer änderte.
    Zum ersten Mal wurde die Menschheit mit der unbestreitbaren Tatsache konfrontiert, dass sie nicht allein im Universum war. Die gesamte Weltpresse war auf die Story angesprungen. Wer waren diese geheimnisvollen Außerirdischen? Wo befanden sie sich jetzt? Waren sie ausgestorben? Würden sie wiederkommen? Welchen Einfluss hatten sie auf die Entwicklung der Menschheit gehabt? Welchen Einfluss würden sie auf die Zukunft haben? In den ersten paar Monaten diskutierten Philosophen, Wissenschaftler und selbst ernannte Experten in endlosen Nachrichtensendungen und im Infonetz stürmisch und leidenschaftlich über die Bedeutung der Entdeckung.
    Jede der großen Weltreligionen war bis ins Mark erschüttert. Dutzende neuer Glaubensrichtungen entstanden über Nacht. Ein Großteil basierte auf der Lehre der Eingreifenden Evolution. Deren Anhänger verkündeten eifrig, beweisen zu können, dass die gesamte Menschheitsgeschichte von Außerirdischen manipuliert und kontrolliert wurde. Viele bereits existierende Glaubensrichtungen versuchten, die außerirdischen Wesen in ihre Mythologien zu integrieren. Andere schrieben sogar ihre Geschichte und Glaubensbekenntnisse um angesichts der neuen Entdeckungen. Ein paar Sturköpfe weigerten sich, die Wahrheit anzuerkennen, und verkündeten, der Bunker auf dem Mars sei eine Fälschung, um Gläubige vom rechten Pfad abzubringen. Selbst jetzt noch, nahezu ein Jahrzehnt später, versuchten die meisten Religionen, sich neu zu ordnen.
    Das Intercom knackte erneut, riss Grissom aus seinen Gedanken und lenkte seine Aufmerksamkeit vom verhassten Fenster auf den Lautsprecher an der Decke. „Landegenehmigung auf Arcturus erteilt. Voraussichtliche Ankunftszeit in zwölf Minuten."
    Arcturus war die