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Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Titel: Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malala Yousafzai
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Wut geriet, etwa wenn eine Henne verlorenging oder eine Tasse zerbrach. Dann wurde er ganz rot im Gesicht, die Ader an seinem Hals schlug heftig, und er warf mit Kesseln und Töpfen um sich. Ich habe meine Großmutter väterlicherseits nicht gekannt, doch mein Vater meinte, sie habe immer gewitzelt: »Bei Gott, so wie du uns nur mit gerunzelter Stirn begegnest, möge Gott dir, wenn ich tot bin, eine Frau geben, die nie lächelt.«
    Meine Großmutter war wegen des Stotterns meines Vaters so in Sorge, dass sie ihn einmal, als er klein war, zu einem heiligen Mann brachte. Es war eine lange Fahrt mit dem Bus, dann ein einstündiger Fußweg den Berg hinauf, wo er lebte. Ihr Neffe Fazli Hakim musste meinen Vater auf den Schultern tragen. Der heilige Mann wurde Lewano Pir genannt, »Heiliger der Irren«, weil er dafür bekannt war, dass er Wahnsinnige beruhigen konnte.
    Als sie zu dem Pir vorgelassen wurden, wies er meinen Vater an, den Mund aufzumachen – und spuckte hinein. Dann griff er zu etwas
gur,
dunklem Sirup aus Zuckerrohr, und kaute ihn. Danach nahm er den Klumpen aus dem Mund und überreichte ihn meiner Großmutter mit der Anweisung, meinem Vater täglich ein wenig davon zu geben.
    Die Behandlung hat das Stottern nicht kuriert. Manche fanden sogar, es sei schlimmer geworden. Als mein Vater dreizehn war und zu seinem Vater meinte, er würde gern an einem öffentlichen Redewettbewerb teilnehmen, fiel Großvater aus allen Wolken. »Wie kannst du nur?«, sagte er und lachte. »Du stotterst so sehr, dass du ein, zwei Minuten brauchst, um einen einzigen Satz rauszubringen.«
    »Keine Bange«, erwiderte mein Vater, »du schreibst die Rede, und ich lerne sie auswendig.«
    Mein Großvater war berühmt für seine Reden. Er unterrichtete Theologie an der staatlichen Oberschule in dem benachbarten Dorf Shahpur in einem abgelegenen Tal in den Bergen von Nord-Swat. Er war auch Imam an der Moschee im Dorf. Er war ein mitreißender Redner. Seine Predigten beim Freitagsgebet waren so beliebt, dass die Menschen auf Eseln oder zu Fuß von den Bergen herunterkamen, um ihn zu hören.
    Mein Vater stammt aus einer großen Familie. Er hatte einen sehr viel älteren Bruder, Saeed Ramzan, den ich Onkel
Khan Dada
nenne, und fünf Schwestern. Ihr Dorf Barkana war sehr primitiv, sie wohnten beengt in einem eingeschossigen, baufälligen Haus mit Lehmdach, das von Holzbalken gehalten wurde. Wenn es regnete oder schneite, kam das Wasser durch. Wie bei den meisten Familien blieben die Mädchen zu Hause, während die Jungen zur Schule gingen. »Die Mädchen haben nur darauf gewartet, verheiratet zu werden«, erzählte einmal mein Vater.
    Die Schule war nicht das Einzige, was meinen Tanten verwehrt war. Bekam mein Vater morgens Sahne oder Milch, mussten seine Schwestern Tee ohne Milch trinken. Gab es Eier, waren sie nur für die Jungen. Wurde zum Essen ein Huhn geschlachtet, teilte man den Mädchen die Flügel und den Hals zu, das saftige Brustfleisch ließen mein Vater, sein Bruder und mein Großvater sich schmecken. »Von klein auf spürte ich, dass ich anders war als meine Schwestern«, bemerkte einst mein Vater, als er von seiner Familie erzählte.
    Es gab wenig zu tun im Dorf meines Vaters. Es war sogar zu klein für einen Kricketplatz, und nur eine einzige Familie hatte einen Fernseher. Freitags schlichen die Jungen in die Moschee und erlebten staunend, wie mein Großvater auf der Kanzel stand und der Gemeinde eine etwa einstündige Predigt hielt. Sie warteten auf den Moment, wenn seine Stimme so laut wurde, dass sie die Dachbalken erzittern ließ. Er war ein hervorragender Redner.
    Mein Großvater hatte in Indien studiert, wo er Muhammad Ali Jinnah (den Gründer Pakistans), Jawaharlal Nehru, Mahatma Gandhi oder Khan Abdul Ghaffar Khan sprechen gehört hatte, unseren großen paschtunischen Führer, der sich für die Unabhängigkeit einsetzte. Baba , wie ich ihn nannte, erlebte sogar am 14 . August 1947 um Mitternacht den Augenblick der Befreiung von der britischen Kolonialherrschaft. Mit einem alten Radioapparat, den mein Onkel Saeed Ramzan heute noch besitzt, vernahm er die Nachrichten. Seine Predigten untermalte er oft mit Weltereignissen oder historischen Begebenheiten, mit Geschichten aus dem Koran und dem Hadith , den Anweisungen des Propheten. Er redete oft über Politik. Das Swat war 1969, im Geburtsjahr meines Vaters, Teil von Pakistan geworden, und viele Bewohner waren unglücklich darüber und klagten über das pakistanische

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