Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
beabsichtige man, »einen Sack voll Flöhe zu hüten«.
Durch die russische Invasion wandelte sich Zia während des Kalten Krieges von einem international Geächteten zum großen Verteidiger der Freiheit. Wir wurden wieder Freunde der Amerikaner, weil Russland ihr großer Feind war. Nebenan wurde der Schah im Iran durch die Revolution zum Abdanken gezwungen, daher hatte die CIA ihren Hauptstützpunkt in unserer Region verloren. Pakistan trat an die Stelle des Iran. Milliarden Dollar flossen aus den USA und anderen westlichen Ländern, um dem ISI bei der Ausbildung der Afghanen zu helfen, die gegen die Rote Armee vorgehen sollten. Von Waffen gar nicht zu reden. General Zia wurde zum amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan ins Weiße Haus und zur britischen Premierministerin Margaret Thatcher in die Downing Street Nr. 10 eingeladen. Sie überschütteten ihn mit Lob.
Premierminister Zulfikar Bhutto hatte Zia zu seinem Armeechef ernannt, weil er ihn für nicht sehr intelligent und für keine Bedrohung hielt. Er nannte ihn seinen »Affen«, doch Zia erwies sich als äußerst gerissen. Er machte Afghanistan für den Westen zum Bollwerk gegen den Kommunismus, und die Menschen in arabischen Ländern, wie auch Usbeken und Tadschiken, sahen durch ihn in Afghanistan ein von Ungläubigen angegriffenes muslimisches Bruderland. Aus der ganzen arabischen Welt, vor allem aus Saudi-Arabien, gab es Gelder, mindestens genauso viel wie aus den USA . Natürlich kamen auch freiwillige Kämpfer, darunter ein Saudi-Millionär mit Namen Osama Bin Laden.
Wir Paschtunen sind, wie gesagt, auf Afghanistan und Pakistan verteilt. Wir erkennen die von den Briten vor mehr als hundert Jahren gezogene Grenze nicht wirklich an. In unserer Region brachten neben religiösen auch nationalistische Gefühle unser Blut in Wallung. Häufig wurde in den Moscheen über die sowjetische Besatzung Afghanistans gepredigt. Die Imame verdammten die Russen als Ungläubige und riefen die Menschen zum Widerstand auf, zum Dschihad . Es hieß damals, dies sei unsere Pflicht als Muslime. Es war, als wäre unter General Zia der Dschihad zur sechsten Säule unserer Religion geworden. Wir Muslime wachsen mit den fünf Säulen unserer Religion auf: dem Glauben an einen einzigen Gott,
namaz -
fünfmal beten am Tag,
zakat –
Almosen geben ( 2 , 5 Prozent vom Einkommen),
roza –
im Monat Ramadan von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang fasten, und haj, die Pilgerreise nach Mekka, die jeder körperlich gesunde Muslim einmal im Leben machen soll.
Mein Vater meint, Dschihad, der heilige Krieg gegen Nicht-Muslime, sei in unserer Region von der CIA stark unterstützt worden. Die Kinder in den Flüchtlingslagern erhielten sogar von einer amerikanischen Universität eigens für afghanische Flüchtlinge herausgegebene Schulbücher, in denen sie Rechenaufgaben lösen mussten wie: »Wenn von zehn russischen Ungläubigen fünf von einem Muslim getötet werden, bleiben fünf übrig.« Oder: » 15 Kugeln – 10 Kugeln = 5 Kugeln.«
Mehrere Jungen aus dem Dorf meines Vaters zogen zum bewaffneten Kampf nach Afghanistan. Mein Vater erinnert sich, dass eines Tages ein Maulana , ein islamischer Gelehrter mit Namen Sufi Muhammad, ins Dorf kam und junge Männer aufforderte, im Namen des Islam gegen die Russen zu kämpfen. Viele brachen daraufhin auf, großenteils nur mit Äxten, alten Gewehren oder Panzerfäusten bewaffnet. Wir ahnten nicht, dass die Organisation dieses Maulana später zu den Swat-Taliban werden sollte.
Zur Zeit von Sufi Muhammads Besuch war mein Vater erst zwölf Jahre alt und zu jung zum Kämpfen. Aber es war schwierig, wieder aus Afghanistan herauszukommen, und so saßen die Russen dort zehn Jahre fest, fast die ganzen achtziger Jahre, und als mein Vater ein Teenager war, dachte auch er daran, Dschihadist zu werden. Später nahm er es nicht mehr so genau mit den Gebeten, aber damals verließ er jeden Morgen bei Tagesanbruch das Haus und ging zur Moschee in einem anderen Dorf, wo er bei einem älteren Talib den Koran las. Damals bedeutete das Wort » Talib « schlicht Religionsschüler. Gemeinsam lernten sie die 114 Sure n oder Kapitel des Korans, und zwar nicht nur zu rezitieren, sondern auch zu interpretieren, was nur wenige Jungen tun.
Der ältere Talib sprach in solch ruhmreichen Worten vom Dschihad, dass mein Vater sich begeistern ließ. Er wies meinen Vater permanent darauf hin, dass das Leben auf Erden kurz sei und dass es für die jungen Männer
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