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Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Titel: Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malala Yousafzai
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im Dorf wenige Möglichkeiten gebe. Unsere Familie besaß kaum Land, und mein Vater wollte nicht nach Süden gehen und sich in den Kohlebergwerken verdingen wie viele seiner Klassenkameraden. Das war harte, gefährliche Arbeit, und die Särge derer, die bei Einstürzen der Schächte ums Leben kamen, trafen mehrmals im Jahr bei uns ein. Das Beste, das die meisten Dorfjungen sich erhofften, war, nach Saudi-Arabien oder Dubai zu gehen und auf dem Bau zu arbeiten. Daher hörte sich die Vorstellung vom Paradies mit 72 Jungfrauen verlockend an. Jeden Abend betete mein Vater zu Gott: »O Allah, bitte lass es zwischen Muslimen und Ungläubigen Krieg geben, damit ich in Deinem Dienst sterben und ein Märtyrer werden kann.«
    Eine Zeitlang schien ihm seine Muslim-Identität wichtiger zu sein als alles andere in seinem Leben. Er schrieb sich nun Ziauddin Panchpiri – die Panchpiri waren eine religiöse Gruppierung – und ließ sich einen Bart wachsen. Heute sagt er, es war eine Art Gehirnwäsche. Er glaubt, er hätte womöglich sogar daran gedacht, ein Selbstmordattentäter zu werden, hätte es die damals schon gegeben.
    Aber er war von früh auf ein skeptischer Junge, der selten etwas für bare Münze nahm, obwohl unsere Ausbildung in den staatlichen Schulen in sturem Auswendiglernen bestand und es den Schülern nicht erlaubt war, den Lehrern Fragen zu stellen.
    Etwa zu der Zeit, als er darum betete, als Märtyrer in den Himmel zu kommen, lernte er den Bruder meiner Mutter kennen, Faiz Mohammed. Bald ging er bei ihrer Familie ein und aus, er wurde regelmäßiger Gast in der Hujra ihres Vaters. Dort sprach man über Lokalpolitik. Es trafen sich dort Mitglieder mit pakistanisch-nationalistischen Zielen, die gegen den Krieg waren. Damals gab es ein berühmtes Gedicht von Rahmat Shah Sayel, dem Dichter aus Peshawar, der ein Gedicht über meinen Namen geschrieben hatte. Er bezeichnete das Geschehen in Afghanistan als »Krieg zwischen zwei Elefanten« – USA und Sowjetunion. Es sei »nicht unser Krieg«. Seiner Ansicht nach waren die Paschtunen nur »das Gras, das von den stolzen Tieren zertreten wurde«. Mein Vater hat mir dieses Gedicht oft vorgetragen, als ich noch klein war, aber ich habe damals nicht begriffen, worum es ging.
    Mein Vater war stark beeindruckt von Faiz Mohammed. Er fand, es habe Sinn, was er sagte, vor allem, wo es um die Abschaffung des feudalistischen und kapitalistischen Systems in unserem Land ging. Dieselben großen Familien würden seit Jahrzehnten alles beherrschen, während die Armen immer ärmer wurden.
    Er war hin- und hergerissen zwischen den zwei Extremen, zwischen Säkularismus und Sozialismus auf der einen Seite, militantem Islam auf der anderen. Er landete wohl irgendwo in der Mitte.
    ***
    Mein Vater verehrte meinen Großvater und erzählte mir wunderbare Geschichten über ihn. Aber er erzählte mir auch, dass er ein Mann war, der den hohen Maßstäben, die er an andere legte, selbst nicht genügen konnte.
    Baba
war ein so beliebter und leidenschaftlicher Redner, dass er ein großer Führer hätte werden können, wäre er nur diplomatischer gewesen und weniger gefangen in Rivalitäten mit Vettern und anderen, die sich besser standen als er. In der paschtunischen Gesellschaft ist es sehr schwer zu ertragen, wenn ein Vetter beliebter, wohlhabender oder einflussreicher ist als man selbst. Mein Großvater hatte einen Vetter, der als Religionslehrer an dieselbe Schule kam, an der er unterrichtete. Bei seiner Einstellung gab er ein viel jüngeres Alter an als das meines Großvaters. Bei uns kennen viele Menschen ihr genaues Geburtsdatum nicht – meine Mutter zum Beispiel weiß nicht, wann sie geboren wurde. Wir erinnern uns an Jahre anhand von Ereignissen, an das Jahr des Erdbebens zum Beispiel. Mein Großvater wusste aber, dass dieser Vetter in Wirklichkeit viel älter war als er. Er war so wütend, dass er die eintägige Busfahrt nach Mingora auf sich nahm und den Bildungsminister des
Wali
aufsuchte. »Herr«, sagte er, »ich habe einen Vetter, der zehn Jahre älter ist als ich, und Sie haben ihn als zehn Jahre jünger registriert.« Darauf erwiderte der Minister: »Gut, Maulana, was soll ich bei Ihnen hinschreiben? Möchten Sie lieber im Jahr des Erdbebens von Quetta geboren sein?« Mein Großvater war damit einverstanden. So wurde 1935 sein neues Geburtsjahr und er um vieles jünger als sein Vetter.
    Wegen dieser Rivalität wurde mein Vater oft von seinen Vettern drangsaliert. Sie wussten,

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