Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
hübschen Dingen, mit bestickten Kleidern, goldenen Halsketten und Armbändern. Ich glaube, ich bin eine ziemliche Enttäuschung für sie, weil ich meinem Vater so ähnlich bin und mir nichts aus Kleidern und Schmuck mache. Es langweilt mich, in den Basar zu gehen, aber ich tanze liebend gern mit meinen Schulfreundinnen hinter verschlossenen Türen.
Während wir aufwuchsen, verbrachten meine Brüder und ich die meiste Zeit mit unserer Mutter. Unser Vater war viel außer Haus, weil er mit so vielen Dingen beschäftigt war, nicht nur mit seiner Schule, sondern auch mit Literaturzirkeln und den Ältestenversammlungen. Außerdem bemühte er sich, die Umwelt und unser Tal zu schützen.
Mein Vater kam aus einem abgelegenen Dorf, aber durch Bildung und eine starke Persönlichkeit hat er uns mit der Zeit einen guten Lebensunterhalt ermöglicht und sich einen Namen gemacht.
Die Leute hörten ihn gern reden, und ich liebte die Abende, wenn Gäste zu Besuch kamen. Dann saßen wir auf dem Fußboden um eine lange Plastikdecke herum, auf der meine Mutter Speisen verteilt hatte. Mit der rechten Hand, wie es bei uns Brauch ist, formten wir Bällchen aus Reis und Fleisch und aßen diese.
Wurde es dunkel, hockten wir beim Schein von Öllampen zusammen und verscheuchten die Fliegen. Unsere Silhouetten bildeten tanzende Schatten an den Wänden. In den Sommermonaten krachten draußen oft Donner, Blitze zuckten, dann rutschte ich näher zum Knie meines Vaters.
Gebannt hörte ich ihm zu, wenn er Geschichten von verfeindeten Stämmen, paschtunischen Machthabern und Heiligen erzählte, oft in Form von Gedichten, die er mit melodischer Stimme vorlas, und manchmal weinte er beim Lesen. Wie die meisten Menschen im Swat sind wir vom Stamm der Yousafzai. Wir Yousafzai (was manche Menschen auch Yusufzai oder Yousufzai schreiben) sind einer der größten paschtunischen Stämme; wir haben uns in Pakistan und Afghanistan verbreitet, sind aber ursprünglich aus Kandahar.
Unsere Vorfahren kamen im 16 . Jahrhundert aus Kabul ins Swat, wo sie einen Timuridenherrscher im Kampf um die Rückeroberung seines Throns unterstützten, nachdem sein eigener Stamm ihn abgesetzt hatte. Der Herrscher belohnte sie, nachdem er seine Macht zurückhatte, mit einflussreichen Posten am Hof und im Heer. Doch seine Freunde und Verwandten warnten ihn, die Yousafzai würden nach und nach so mächtig werden, dass sie ihn stürzen würden. Deswegen lud er eines Abends alle Häuptlinge zu einem Bankett und ließ sie während des Essens von seinen Männern überfallen. An die 600 Häuptlinge wurden niedergemetzelt. Nur zwei entkamen und flohen mit ihren Stammesangehörigen nach Peshawar. Nach einer Weile besuchten sie im Swat einige befreundete Stämme, um ihre Unterstützung für die Rückkehr nach Afghanistan zu gewinnen. Aber sie waren so gefesselt von der Schönheit dieser Region, dass sie beschlossen, dort zu bleiben und die anderen Stämme zu vertreiben.
Die Yousafzai teilten das ganze Swat-Land unter den männlichen Stammesmitgliedern auf. Sie hatten ein sonderbares System namens
wesh,
nach dem sämtliche Familien alle fünf oder zehn Jahre in ein anderes Dorf zogen und das Land dort unter den männlichen Stammesmitgliedern aufteilten. So hatte jeder die Chance, mal gutes, mal schlechtes Land zu bewirtschaften. So dachte man, die rivalisierenden Klans zusammenzuschmieden. Die Dörfer wurden von den Khans verwaltet, und die einfachen Leute, Handwerker und Arbeiter, waren Pächter und Untertanen und mussten einen gewissen Anteil ihrer Ernte, gewöhnlich in Getreide, an sie abtreten. Sie mussten den Khans auch helfen, eine Miliz aufzubauen, indem sie für jedes Stück Land einen bewaffneten Mann zu stellen hatten. Jeder Khan unterhielt Hunderte von Bewaffneten, sowohl für Fehden als auch mit dem Ziel, andere Dörfer zu überfallen und zu plündern.
Da die Yousafzai im Swat keinen Herrscher hatten, gab es zwischen den Khans ständig Zwistigkeiten, manchmal sogar innerhalb der eigenen Familie. Alle unsere Männer haben Gewehre, obwohl sie heute nicht mehr damit herumlaufen, wie sie es früher taten. Mein Urgroßvater erzählte gern Geschichten von Feuergefechten, die er als Junge gehört hatte. Anfang des letzten Jahrhunderts hatten sie Angst, von den Briten überrollt zu werden, die bereits den Großteil des umgebenden Landes kontrollierten. Außerdem waren sie das endlose Blutvergießen leid. Und so beschlossen sie, nach einem unparteiischen Mann zu suchen, der
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