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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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Perlen.
    Judiths Mutter drückte ihr Neugeborenes an sich und schwankte auf ihrem Trauerstuhl vor und zurück. »Wie konnte die Kette nur herabfallen?«, murmelte die verwirrte Rachel in ihrer Trauer. »Meine Juditel hat diese Perlen so geliebt, sie waren ein Geschenk ihres Verlobten, meine arme Judith, sie ist doch an einem so glücklichen Datum zur Welt gekommen, am 21. des Monats Kislew …«
    Auf dem Trauerstuhl neben Rachel saß Mila. Die Perlen klickten in ihren zitternden Händen. »Wahrscheinlich hat der Verschluss nicht gehalten«, flüsterte Mila, dabei sah sie Judith vor sich, wie sie die Kette zum Mund führte und ihre Finger den Verschluss öffneten, wie sie das Gebetbuch ein letztes Mal küsste.
    Am achten Tag wurde das Neugeborene in den Bund der Beschneidung aufgenommen, und Rachel nannte ihren sechsten Sohn Josef, in Gedenken an ihren Vater Josef Lichtenstein, dessen Name nicht aus der Abstammungslinie der Geschlechter ausgelöscht war.
    *
    In Ataras Loft klingelte das Telefon. »Verbrenne es, verbrenne es zu Asche«, sagte Mila. »Nein, bitte komm nicht, Rachels Kinder sollen sicher sein. Nein, du darfst nicht kommen … es geht ein Gerücht um, Judith sei von einer Frau entführt worden … irgendeiner Frau, einer Fremden, aber was ist, wenn sie dich erkennen? Wirst du es verbrennen?«
    Noch vor einem Tag hatte das Mädchen zusammengerollt auf Ataras Tagesdecke gelegen, ihre blassen Augenlider hatten gezuckt …
    Atara verbrannte Milas Notizbuch in einem großen Topf auf dem Herd, bis nur noch Asche übrig war.
    *
    Ein Jahr später rief Mila an, um Atara zu sagen, dass es Hannah nicht gut gehe.
    Atara nahm das nächste Flugzeug nach Paris, wo sie sich niemals mehr länger aufgehalten hatte, auch nicht, als sie volljährig war. Sie hatte ihren Eltern die Schande einer abtrünnigen Tochter in derselben Stadt ersparen wollen.
    Mila flehte Zalman an: Er solle Atara erlauben, ihre sterbende Mutter zu besuchen, doch Zalman erhob sich trotz seiner schlechten Knie. » JIMACH SCHEMO !«, donnerte er. Möge Ihr Name Ausgelöscht Sein. Noch einmal verfluchte er das ketzerische Kind und sprach ihm seine Existenz ab.
    Die Geschwister arrangierten, dass Atara zu einer Zeit vorbeikommen konnte, als Zalman nicht zu Hause war.
    Als Atara allein im Hotelzimmer saß und auf das Klingeln des Telefons wartete, musste sie an die leeren Schreibblöcke denken, die in ihrem einzigen ordentlichen Regal lagen, die elfenbeinfarbenen oder porzellanweißen Papierbogen ihrer ungeschriebenen Briefe an Hannah. Sie hatte sich sogar vorgestellt, Zalman zu schreiben, so dass der Stapel unbeschriebener Bogen und ungenutzter Briefmarken noch weiter angewachsen war.
    Manche Bogen waren nicht völlig weiß:
    Chère Maman,
    gefolgt von der kursiv geschriebenen Abkürzung für Bis Hundertundzwanzig Jahre!
    Chère Maman, ש״ומצ
    Wie geht es Dir?
    Mir geht es gut.
    Darunter blieb die Seite leer. Wie hätte sie ihrer Familie erklären können, dass sie fern von ihnen glücklich war? Und wenn sie unglücklich war – hatten sie Atara nicht gewarnt?
    Das Fenster ihres Hotelzimmers blickte auf eine von Efeu zugewucherte Mauer, die voller zwitschernder Vögel steckte. Einer flog heraus, während zwei andere zurückkamen und in dem dichten Blattwerk verschwanden.
    Atara dachte an den Tag vor einem Jahr, als sie sich allein auf den Rückweg nach Manhattan gemacht hatte. Wegen der wütenden Frau, die sie nicht in die Synagoge lassen wollte, hatte sie sich von Mila und Judith trennen müssen. Atara hatte nach einem Taxi gesucht und nach dem Geldbeutel, den sie nicht mitgenommen hatte, weil sie Judith nicht beleidigen wollte – muktza, am Fest der Gesetzesfreude war der Geldbeutel muktza. Schließlich war sie zum Fußgängerweg der Williamsburg Bridge hochgestiegen, während das Gerüst unter einem näher kommenden Zug ächzte. Sie war einfach weitergegangen, halb über den Handlauf zusammengesackt, und hatte gehofft, das Mädchen würde noch kommen.
    Sie sprang zum Telefon. Es war Mila: Zalman würde den ganzen Nachmittag außer Haus sein.
    Atara eilte an Hannahs Bett.
    Hannah strahlte und nahm Ataras Hand, als sei nichts geschehen. Das Sprechen fiel ihr schwer, weil sie eine Sauerstoffmaske über Mund und Nase trug, doch sie deutete auf ihre Schürze mit dem Blumenmuster, die über einer Stuhllehne hing. Als Atara sie ihr brachte, deutete Hannah auf die Taschen. Atara zog Papierschnipsel linierter Seiten aus einem alten Schulnotizbuch heraus,

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