Die Reise
Kapitel 1
Ich hätte im Traum nicht gedacht, dass ich je die Art Frau werden würde, die froh war, ihrer Familie zu entrinnen. Nicht, dass ich vorhatte, Mann und Kind zu verlassen, aber ich war froh, dass ich ein paar Tage fort sein würde (von dem einen der beiden gerne auch etwas länger).
Vielleicht hätte ich, statt zu flüchten, besser feiern sollen. Das macht man ja manchmal, wenn es große Neuigkeiten gibt. Und von denen hatten wir mehr als genug.
Vor ein paar Wochen hatte mein Ehemann, Nick, mir eröffnet, dass er Jesus begegnet war. Nein, er war nicht in so einen Gottesdienst gegangen, wo man sich »bekehrte«, er war Jesus buchstäblich begegnet. In einem italienischen Restaurant in unserer Stadt, um es genau zu sagen.
Zuerst hatte ich natürlich gedacht, der Mann macht einen Witz. Aber es war kein Witz. Dann dachte ich, dass er einer Halluzination erlegen war. Immerhin fuhr er im Beruf 70-Stunden-Wochen und bekam zu wenig Schlaf. Aber er blieb eisern bei seiner Geschichte, und ich war – ja, das wusste ich selber nicht genau.
Alles, was ich wusste, war, dass mein Mann allen Ernstes glaubte, dass er mit Jesus höchstpersönlich zu Abend gegessen hatte. Und dass er seitdem zu einem Jesus-Freak geworden war. Es war schon schlimm genug, dass er vorher fast nur noch für seine Arbeit gelebt hatte. Jetzt wollte er, wenn wir zusammen waren, nur noch über Gott reden. Es war nicht ganz das, was ich mir unter »Bis der Tod uns scheidet« vorgestellt hatte.
Unsere Ehe war schon so genug strapaziert gewesen, und jetzt auch noch diese Sache mit Gott! Es war gerade so, als ob jemand den echten Nick gekidnappt und durch einen geklonten frommen Nick ersetzt hätte. Da schlugen wir uns mehr schlecht als recht durch unsere Ehe durch, und auf einmal war Nick, der immer einen großen Bogen um Kirchen gemacht hatte, ein Busenfreund des lieben Gottes geworden …
Ich habe nichts gegen Religion; bei mir kann jeder gerne glauben, was er will. Aber ich bin nicht fromm aufgewachsen, selber nie fromm gewesen und habe einen Mann geheiratet, der ebenfalls unfromm war. Und wollte, dass das so blieb.
Vier Nick-lose Tage, es war echt ein Segen. Was ich gar nicht mochte, war, dass es auch vier Tage ohne Sara, meine zweijährige Tochter, waren. Gut, ich freute mich auf die Ruhe; welche Mutter hätte das nicht getan? Aber ich war bis jetzt nie länger als zwei Tage von dem Kind fort gewesen, und selbst dann hatte ich am zweiten Tag angefangen, es zu vermissen. Und da war noch meine Mutter zu uns gekommen, um den Babysitter zu machen, und auf Mutter war Verlass. Aber jetzt war Nick der Babysitter, und was konnte da nicht alles passieren. Nicht, dass er ein schlechter Vater war, wenn er nicht in seiner Firma oder an seinem Handy klebte.
Aber ich musste diese Reise machen. Ein Kunde von mir hatte in der Nähe von Tucson ein Wellnesshotel gebaut und wollte, dass ich die Werbeprospekte gestaltete. Die Hotel-direktorin bestand darauf, dass ich mir das Hotel persönlich ansah; um mir wirklich etwas unter ihm vorstellen zu können, so sagte sie, musste ich es persönlich erlebt haben. Nun ja, vielleicht würde ich eine kostenlose Massage kriegen.
Ich musste selten reisen in meinem Beruf als Grafikerin, was mir gerade recht war. Die meisten der Kunden, die ich seit unserem Umzug nach Cincinnati bekommen hatte, wohnten in der näheren Umgebung. Manchmal musste ich zurück nach Chicago, um einen Auftrag zu erledigen, aber die meisten meiner alten Kundenbeziehungen konnte ich per Internet pflegen. Aber dies hier war mein größter Kunde – seit sechs Jahren schon –, und ich konnte nicht gut Nein sagen.
Einmal Tucson und zurück – eigentlich hätte ich das an einem Tag schaffen müssen, maximal zwei. Aber von Cincinnati nach Tucson gibt es keine Direktflüge; ich musste über Dallas fliegen, was zwei Reisetage bedeutete.
Ich konnte mir kaum eine unattraktivere Art vorstellen, zwei Tage meines Lebens zu verbringen. Ich bin sowieso niemand, der mit Begeisterung fliegt. Ich schmeiße lieber einen Koffer ins Auto und fahre los. Im Auto muss man nicht Schlange stehen oder sich die Handtasche filzen lassen oder zum Frühstück trockenes Knabberzeug essen. Man wird auch nicht aus der Schlange gewunken und muss die Arme ausbreiten und sich mit einem dieser elektronischen Stäbe am ganzen Leib abtasten lassen. Warum passiert das immer mir?
Und außerdem fühlte ich mich an diesem Morgen nicht besonders. Ich wusste, dass es keine gute Idee
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