Ich bin verboten
Zalmans Stimme, um die Passage anzustimmen, die am Fest der Gesetzesfreude in jeder Synagoge gelesen wird, die Passage, mit der das letzte Buch des Pentateuch schließt:
Und Mose ging … auf die Spitze des Gebirges Pisga, gegenüber Jericho. Und der HERR zeigte ihm das ganze Land … Und der HERR sprach zu ihm: Dies ist das Land, das ich Abraham, Isaak und Jakob geschworen habe … aber du sollst nicht hinübergehen.
Judith hörte das Wort des Herrn.
»Yoel und Judith, ihr sollt nicht hinübergehen «, flüsterte sie. Es fühlte sich sogar verboten an, die beiden Namen in Verbindung zu bringen.
Die Männer vervollständigten die letzten Verse, dann hoben sie die Thorarolle hoch, um zurückzugehen zu »Am Anfang«.
Und es war in diese Thorarolle gewickelt:
׳ה להקב רזממ אבי אל
Ein Mamser soll nicht in die Gemeinde des Herrn kommen.
Judith löste den Verschluss der Perlenkette, das Geschenk Yoels, das sie bereits als Zeichen auserwählt hatte, um ihn wissen zu lassen, wann sie erlaubt war. Sie legte die Kette neben ihr Gebetbuch und trat vom Holzgitter zurück. Die Frauen drückten nach vorne, alle wollten Zalman Stern sehen, und drängten Judith zurück in den hinteren Teil der Empore. Judith bahnte sich einen Weg die Treppe hinab und trat auf die Straße hinaus, zwischen die Kinderwägen und Mütter. Dann bog sie um die Ecke.
*
Mila schob sich in die erste Reihe der Frauenempore vor. Sie schaute nach links und nach rechts, doch nirgendwo sah sie Judith. Schließlich stellte sie sich auf eine Bank. Auch andere Frauen waren auf die Bänke gestiegen, um die Tanzenden unten besser zu sehen. Auf der Suche nach Judiths schwarzem Haar wanderte Milas Blick über das Meer weißer Kopftücher. Sie schwankte und stützte sich Halt suchend an der Rückenlehne der Bank ab. Noch einmal schweifte ihr Blick über die Empore, dann stieg sie jäh von der Bank, taumelte und wurde von zwei Frauen aufgefangen. Mit vorgestreckten Armen bahnte sich Mila einen Weg durch die Menge. Schließlich stand sie am oberen Ende der Treppe, doch auch unter den hüpfenden Kopftüchern unten konnte sie den Kopf des Mädchens nicht ausmachen. Sie zwängte sich durch die Frauen auf der Treppe nach unten und trat auf die Straße hinaus.
Im gleichen Moment ging die Seitentür der Synagoge auf. Eine Schar Männer in schwarzen Mänteln stürmte nach draußen. »Platz gemacht, macht Platz!« Die Menge teilte sich, und Mila sah Josef, der in seinem Rollstuhl zusammengesackt war. Der Rollstuhl schwenkte herum. Josefs Hände fuhren durch die Luft, als versuche er sich zu orientieren, die blaue Ader auf seiner Schläfe pulsierte, und die Haut über seinen Wangenknochen spannte sich wie Pergament.
Mila lief zu ihm hin. »Was ist los?«
»Die Hitze«, erwiderte ein junger Mann. »Drinnen ist die Luft zum Schneiden.«
Mila hörte nicht hin, sondern beugte sich über Josef. »Was ist passiert, als du Zalman Stern getroffen hast?«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Hast du geredet?«
Josef griff nach ihrer Hand. »Milenka, ich bin froh, dass du es bist.«
»Hast du geredet?«
Josef legte eine Hand auf seine Brust, mit der anderen zupfte er am Kragen von Milas Kleid, um sie zu beruhigen.
»Dein Herz?«, fragte Mila.
Josef nickte, lächelte, nickte wieder, die Lider schlossen sich halb über seinen graugrünen blinden Augen, als seine Lippen das Wort lev, Herz, formten.
»Lev?«, flüsterte Mila.
Josef lächelte.
Es war eine Lesart, die Josef Rachel am Sabbattisch beigebracht hatte, und später auch Judith und ihren Geschwistern: Der letzte Buchstabe der Thora ל (lamed) und der erste Buchstabe der Thora ב (beth) bildeten zusammen das Wort בל (lev), Herz. Die Auslegung war Josef seit alters vertraut: Jedes Jahr verband בל (lev) das Ende wieder mit dem Anfang.
Mila verstand, dass Josef beschlossen hatte, sein Herz stillschweigend dem Gesetz zu überantworten: Er hatte nicht mit Zalman gesprochen und würde auch nie wieder über das Thema sprechen.
Josef, der mit dieser Welt schon lange abgeschlossen hatte und sich jetzt darauf vorbereitete, mit der nächsten Welt abzuschließen, fuhr leise lachend mit den Fingern über Milas Kragen, dann hob er die Hand, und die Tür zum Gebetssaal der Männer öffnete sich wieder. Die Jungen schoben Josef zurück zu den Tanzenden.
Mila sah ihn hinter schwarzen Mänteln und Biberpelzmützen verschwinden. Die Tür zum Männersaal schlug zu.
Nun musste Mila Judith erst recht finden, um sie wissen
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