Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
ich, wenn ich stillhalten, mich gar nicht rühren und meine Lippen nicht bewegen würde, könnte sich alles verändern. Wenn ich erstarre, erstarrt vielleicht auch der Schmerz. Manchmal bewege ich mich stundenlang nicht. Keinen Zentimeter.
Wenn die Zeit stillsteht, kann nichts schiefgehen.
»Alles in Ordnung?« Adams Stimme klingt besorgt. Ich betrachte seine geballten Fäuste, die Furche zwischen seinen Brauen, die Spannung in seinem Kiefer. Die Person, die mir mein Bett und meine Decke gestohlen hat, ist dieselbe, die heute Nacht ohne Decke auskommt. Vor wenigen Stunden noch großspurig und rücksichtslos; nun so still und achtsam. Es macht mir Angst, dass dieser Ort ihn so schnell brechen konnte. Ich frage mich, was er gehört hat, während ich geschlafen habe.
Könnte ich ihm das Grauen doch nur ersparen.
Etwas zerbricht; ein gequälter Schrei verhallt in der Ferne. Diese Zellen sind begraben zwischen Betonwänden, dicker als Böden und Decken zusammen, um Laute zu dämpfen. Wenn ich diese Qual hören kann, muss sie gewaltig sein. Jede Nacht gibt es hier auch Laute, die ich nicht höre. Und jede Nacht frage ich mich, ob ich als Nächstes dran bin.
»Du bist nicht verrückt.«
Ich reiße die Augen auf. Er hat den Kopf schräg gelegt, und sein Blick ist klar, trotz des nachtschwarzen Schleiers der Luft. Er holt tief Luft. »Ich dachte, hier drin gäbe es nur Irre«, fährt er fort. »Ich dachte, sie hätten mich mit einer Irren eingesperrt.«
Ich sauge hastig Luft ein. »Komisch. Das dachte ich von dir auch.«
1
2
3 Sekunden vergehen.
Er grinst so breit und echt, so erfrischend aufrichtig, dass etwas wie ein Donnerschlag meinen Körper erschüttert. Etwas sticht in meinen Augen und bricht mir die Knie. Seit 265 Tagen hatte ich kein Lächeln gesehen.
Adam steht auf.
Ich halte ihm seine Decke hin.
Er nimmt sie und legt sie enger um mich, und in meiner Brust wird etwas eng. Meine Lungen sind durchlöchert und fest verschnürt, und ich habe gerade beschlossen, mich eine Ewigkeit nicht mehr zu bewegen, als Adam spricht.
»Was ist los mit dir?«
Meine Eltern haben mich nicht mehr angefasst, seit ich zu krabbeln begann. Ich habe Mitschüler zum Weinen gebracht, indem ich sie an der Hand nahm. In der Schule musste ich alleine lernen, damit ich den anderen Kindern nicht weh tat. Ich hatte nie Freunde. Ich habe nie den Trost einer mütterlichen Umarmung erlebt. Ich habe nie die Zärtlichkeit eines väterlichen Kusses erfahren. Ich bin nicht verrückt . »Nichts.«
5 weitere Sekunden. »Darf ich mich zu dir setzen?«
Das wäre wunderbar . »Nein.« Ich starre wieder die Wand an.
Er bewegt den Kiefer hin und her. Streicht sich mit der Hand durchs Haar, und ich merke erst jetzt, dass er sein T-Shirt ausgezogen hat. Es ist dunkel hier drin, nur eine Spur Mondlicht fällt jetzt durch das kleine Fenster, aber ich kann das Spiel der Muskeln an seinem Arm erkennen, und plötzlich gerate ich in Brand. Flammen lecken an meiner Haut, und etwas Heißes explodiert in meinem Bauch. Jeder Zentimeter von Adams Körper ist rohe Kraft, jedes Stück Haut scheint im Dunkeln zu leuchten. 17 Jahre lang habe ich nie jemanden wie ihn erlebt. 17 Jahre lang habe ich nie mit einem Jungen meines Alters gesprochen. Weil ich ein Monster bin .
Ich schließe die Augen, bis sie fest vernäht sind.
Ich höre sein Bettgestell knarren, höre das Ächzen der Federn, als er sich setzt. Ich trenne meine Augen wieder auf und starre auf den Boden. »Dir ist doch bestimmt kalt.«
»Nein.« Er seufzt tief. »Mir ist glühend heiß.«
Ich springe so hastig auf, dass die Decken zu Boden fallen. »Bist du krank?« Meine Augen tasten sein Gesicht ab, aber ich sehe kein Anzeichen von Fieber und wage es nicht, ihm näher zu kommen. »Ist dir schwindlig? Tun dir die Gelenke weh?« Ich versuche mich an meine eigenen Symptome zu erinnern. Eine Woche lang wurde ich von meinem eigenen Körper ans Bett gekettet. Ich konnte nur zur Tür kriechen und mit dem Gesicht ins Essen fallen. Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich überlebt habe.
»Wie heißt du?«
Diese Frage stellt er jetzt zum 4. Mal. »Du bist vielleicht krank«, antworte ich.
»Ich bin nicht krank. Mir ist nur heiß. Ich schlafe sonst nicht in Kleidern.«
In meinem Bauch fangen Schmetterlinge Feuer. Eine rätselhafte Scham versengt mein Fleisch. Ich weiß nicht, wo ich hinschauen soll.
Ein tiefer Atemzug. »Ich hab mich gestern wie ein Vollidiot benommen. Ich habe dich wie Dreck behandelt,
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