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Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)

Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)

Titel: Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahereh H. Mafi
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»Ich tu dir nichts.«
    Ich möchte ihm glauben Ich glaube ihm nicht.
    »Wie heißt du?«, fragt er.
    Geht dich nichts an. Wie heißt du?
    Ich höre ihn ärgerlich schnauben. Höre, wie er sich auf dem Bett umdreht, das zur Hälfte meines war. Ich bleibe die ganze Nacht wach. Die Knie ans Kinn gezogen, die Arme um den schmalen Körper geschlungen, die langen braunen Haare als Vorhang zwischen uns.
    Ich werde nicht schlafen.
    Ich kann nicht schlafen.
    Ich will die Schreie nicht mehr hören.

2
    Am nächsten Morgen riecht es nach Regen.
    Der Geruch von nassem Stein und aufgegrabener Erde hängt in der feuchten schweren Luft. Ich atme tief ein und schleiche auf Zehenspitzen zum Fenster. Presse die Nase an die kühle Scheibe. Spüre, wie sie beschlägt von meinem Atem. Schließe die Augen und horche auf das leise Plätschern im Wind. Regentropfen erinnern mich daran, dass Wolken einen Herzschlag haben. Dass ich einen habe.
    Ich denke immer wieder über Regentropfen nach.
    Sie fallen vom Himmel, stolpern über ihre Füße, brechen sich die Beine, vergessen ihre Fallschirme, wenn sie heruntertaumeln, einem ungewissen Ende entgegen. Als entleere jemand seine Taschen über der Erde. Dem es egal ist, dass die Regentropfen zerplatzen, wenn sie auftreffen, dass sie zerspringen, wenn sie den Boden erreichen, dass Menschen die Tage verwünschen, an denen die Tropfen so dreist sind, an ihre Tür zu klopfen.
    Ich bin ein Regentropfen.
    Meine Eltern haben mich aus ihren Taschen geleert und auf einer Betonplatte verdampfen lassen.
    Durchs Fenster kann ich sehen, dass wir nicht weit weg von den Bergen und auf jeden Fall nahe am Wasser sind, aber inzwischen ist das Wasser überall. Ich weiß nur nicht, auf welcher Seite wir sind. In welche Richtung wir schauen. Ich blinzle in die frühe Morgensonne. Jemand hat die Sonne aufgeklaubt und sie wieder an den Himmel gehängt, aber sie steht jeden Tag ein bisschen tiefer. Sie ist wie ein achtloser Elternteil, der sein Kind nur zur Hälfte kennt. Der nie begreift, wie seine Abwesenheit die Menschen verändert. Wie anders wir alle im Dunkeln sind.
    Ein plötzliches Rascheln sagt mir, dass mein Zellengenosse wach ist.
    Ich fahre herum, als sei ich wieder dabei ertappt worden, wie ich Essen stehle. Das habe ich nur einmal gemacht, und meine Eltern glaubten mir nicht, als ich sagte, ich hätte es nicht für mich getan. Ich sagte, ich wollte nur die Streunerkatzen bei uns um die Ecke retten. Aber meine Eltern dachten, ich sei nicht menschlich genug, um für Katzen zu sorgen. Nicht so etwas jemand wie ich.
    Zellengenosse betrachtet mich.
    Er war in seinen Kleidern eingeschlafen. Er trägt ein marineblaues T-Shirt und khakifarbene Cargohosen, in kniehohe schwarze Stiefel gesteckt.
    Ich trage tote Baumwolle auf dem Körper und Rosenfarbe im Gesicht.
    Er tastet mich mit den Augen ab, und die langsame Bewegung bringt mein Herz zum Rasen. Ich fange die Rosenblätter auf, als sie von meinen Wangen fallen, als sie herabschweben, als sie mich mit etwas bedecken, das sich wie ein Mangel an Mut anfühlt.
    Hör auf, mich anzuschauen, will ich sagen.
    Hör auf, mich mit den Augen anzufassen, und behalte deine Hände bei dir und bitte und bitte und bitte –
    »Wie heißt du?« Er legt den Kopf schräg, und die Schwerkraft zerbricht in zwei Stücke.
    Ich schwebe im Augenblick. Ich blinzle und halte meinen Atem unter Verschluss.
    Zellengenosse bewegt sich, und meine Augen zerspringen in tausend Teile, die durch den Raum jagen, eine Million Fotos schießen; eine Million Augenblicke in der Zeit. Flackernde Bilder aus alter Zeit, erstarrte Gedanken im leeren Raum, ein Wirbelsturm von Erinnerungen, die in meine Seele schneiden. Er erinnert mich an jemanden von früher.
    Ein scharfer Atemzug, und meine Augen fliegen auf.
    Keine Tagträume mehr.
    »Warum bist du hier?«, frage ich die Risse in der Betonwand. 14 Risse in 4 Wänden in tausenderlei Grautönen. Der Boden, die Decke: dieselben Steinplatten. Die erbärmlichen Bettgestelle: aus alten Wasserrohren gebaut. Das kleine Fenster: zu dick zum Zerschlagen. Meine Hoffnung ist erschöpft. Meine Augen sind wirr und schmerzen. Mein Finger zeichnet träge einen Pfad auf den kalten Boden.
    Ich sitze auf dem Boden, und da riecht es nach Eis und Metall und Schmutz. Zellengenosse mir gegenüber im Schneidersitz. Seine Stiefel glänzen zu sehr für diesen Ort.
    »Du hast Angst vor mir.« Seine Stimme nimmt keine Gestalt an.
    Meine Finger ballen sich zur Faust. »Ich fürchte,

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