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Ich hab dich im Gefühl

Ich hab dich im Gefühl

Titel: Ich hab dich im Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
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einer Gefahr wurde. Fünfundsiebzig ist er jetzt, seine Frau seit zehn Jahren tot. Inzwischen hat er seine eigene Routine, ist zufrieden, in seiner Gegend zu bleiben, mit den Nachbarn zu plaudern, sonntags und mittwochs in die Kirche zu gehen, jeden Montag in den Monday Club (außer wenn der Montag ein Feiertag ist und der Club sich am Dienstag trifft), am Dienstag zum Metzger, tagsüber Kreuzworträtsel, Ratesendungen und Fernsehshows, der Garten in der Zeit dazwischen.
    »Fran von nebenan hat mich mitgenommen.« Er lacht immer noch über seinen Jogging-Witz, legt die Banane weg und stopft sich noch eine Traube in den Mund. »Hat mich ein paar Mal beinahe das Leben gekostet. Oft genug, um mir mal wieder zu beweisen, dass es einen Gott gibt, falls ich je daran gezweifelt hätte.« Plötzlich verzieht er das Gesicht. »Ich hab doch gesagt, ich will kernlose Trauben, und die hier sind alles andere als kernlos.« Mit seinen leberfleckigen Händen legt er die Trauben wieder auf das Schränkchen, klaubt sich die Kerne aus dem Mund und sieht sich nach einem Mülleimer um.
    »Glaubst du jetzt immer noch an deinen Gott, Dad?«, frage ich, und es kommt viel härter heraus, als ich es meine, aber meine Wut ist beinahe unerträglich.
    »Ja. Ich glaube an ihn, Joyce.« Wie immer meint er es nicht böse. Er deponiert die Kerne in seinem Taschentuch und stopft es wieder in die Tasche. »Was er tut, ist oft rätselhaft, und wir können es weder erklären noch verstehen, noch ertragen. Mir ist klar, dass du ihn jetzt in Frage stellst – das tun wir ja alle gelegentlich. Als deine Mutter gestorben ist, habe ich …« Der Satz bleibt unvollendet, wie immer. Weiter strapaziert er die Loyalität zu seinem Gott nicht, mehr sagt er nicht über den Tod seiner Frau. »Aber diesmal hat Gott alle meine Gebete erhört. Als ich ihn letzte Nacht gerufen habe, hat er zu mir gesagt« – Dad verfällt in den breiten Cavan-Akzent, den er als Kind gesprochen hat, ehe er als Teenager nach Dublin kam – »›Kein Problem, Henry. Ich verstehe dich laut und deutlich, und ich hab alles im Griff, mach dir also keine Sorgen. Ich erledige das für dich, keine Angst.‹ Und er hat dich gerettet. Er hat mein Mädchen am Leben erhalten, und dafür werde ich ihm immer dankbar sein, so traurig wir auch wegen dem Tod des Babys sind.«
    Darauf weiß ich keine Erwiderung, aber ich bin etwas besänftigt.
    Er zieht seinen Stuhl laut quietschend näher ans Bett.
    »Und ich glaube auch an ein Leben nach dem Tod«, sagt er, ein bisschen ruhiger. »Auf jeden Fall. Ich glaube an das himmlische Paradies, und jeder, der einmal hier war, ist jetzt da oben. Auch die Sünder, denn Gott vergibt. Das glaube ich.«
    »Alle sind im Himmel?« Ich kämpfe mit den Tränen, halte sie zurück, denn wenn ich jetzt anfange, höre ich nie mehr auf. »Was ist mit meinem Baby, Dad? Ist mein Baby auch dort?«
    Ich sehe ihm den Schmerz an. Wir haben nicht viel über meine Schwangerschaft gesprochen. Anfangs haben wir uns alle Sorgen gemacht, er am meisten. Erst vor ein paar Tagen hatten wir einen kleinen Streit, weil ich ihn gebeten hatte, unser Gästebett in seiner Garage zu verstauen. Ich hatte nämlich angefangen, das Kinderzimmer einzurichten … Ach je, das Kinderzimmer. Das Gästebett und das Gerümpel habe ich rausgeräumt und das Kinderbettchen aufgestellt. Die Wände in einem hübschen Gelb gestrichen. »Butterblumentraum«, mit einer Entchenbordüre.
    Noch fünf Monate wären es gewesen. Manche Leute, unter ihnen auch mein Vater, hielten es für voreilig, das Kinderzimmer schon im vierten Monat der Schwangerschaft einzurichten, aber wir hatten sechs Jahre auf ein Baby gewartet, auf dieses Baby. Daran war nichts voreilig.
    »Ach, Liebes, das weiß ich nicht …«
    »Ich wollte es Sean nennen, wenn es ein Junge wird«, höre ich mich schließlich laut sagen. Schon den ganzen Tag wiederhole ich diese Dinge im Kopf, immer wieder, und jetzt kommen sie einfach aus meinem Mund, strömen aus mir heraus, an Stelle der Tränen vielleicht, die ich zurückgehalten habe.
    »Ah, Sean, das ist ein schöner Name.«
    »Ein Mädchen sollte Grace heißen. Nach Mum. Das hätte ihr gefallen.«
    Er beißt die Zähne zusammen und sieht weg. Wer ihn nicht kennt, könnte denken, dass meine Bemerkung ihn wütend gemacht hat. Aber ich weiß, dass das nicht der Fall ist. Ich weiß, dass es die Gefühle sind, die sich in seinem Kiefer sammeln wie in einem riesigen Becken, in dem alles gestaut wird und

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