Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
Santamarin in Livree. Betritt einer der kleinen Gäste den Salon, so haben die Reitknechte Anweisung, mit ihren Stäben aufzustampfen und laut den Namen der betreffenden Familie auszurufen. Dann trippeln kleine Mädchen, deren Körper zwischen Wölkchen pastellfarbener Tüllstoffe zu schweben scheinen, und Jungen in Matrosenanzügen zu den beiden Gastgebern, den Geschwistern Santamarin, werden dort von ihren Gouvernanten und Hauslehrern noch einmal vorgestellt und überreichen ihre Geschenke.
Das Fest ist seit zwei Stunden im Gange. Langsam fällt es schwer, die Kinder zu bändigen. Gleich wird man sich zur großen Schlusspolonaise aufstellen.
In diesem Augenblick betritt Ernesto die Eingangshalle des Sierra Hotels. Dass er zum Kinderfest der Santamarins eingeladen worden ist, hat daheim einiges Erstaunen hervorgerufen. Die Guevaras verkehren nicht mit den Familien der Oligarquia.
Oligarquia = Oligarchie wörtlich die Herrschaft weniger. In Südamerika: die Klasse der Reichen. Im Argentinien dieser Jahre etwa 200 Familien, durch Verwandtschaft und gemeinsame Interessen miteinander verbunden. Als Großgrundbesitzer, Besitzer der wichtigsten Exportfirmen, Industrien und Dienstleistungsbetriebe, beherrschten sie die Wirtschaft und bestimmten von daher die Politik. Vergleichbar in Europa in ihrer sozialen Stellung und politischem Einfluß den ostelbischen »Junkern« und Rittergutsbesitzern im Preußen des 19. Jahrhunderts.
Vielleicht ein Missverständnis? Er soll nur hingehen, hat der Vater erklärt. »Du wirst dich wahrscheinlich schrecklich langweilen, aber man muss alles einmal mitgemacht haben.«
Später sind die Eltern nicht mehr auf die Einladung zu sprechen gekommen. Ernesto hatte sich vorgenommen, nicht hinzugehen. Aber an diesem Nachmittag hat er niemand gefunden, mit dem er spielen kann, und hat sich entschlossen, es sich doch einmal anzusehen.
Er trägt die üblichen Kleider, die er anhat, wenn er auf dem Golfplatz herumstromert, auf Bäume klettert oder mit dem Vater Tontauben schießen geht; ein verwaschenes blaues Hemd, kurze Hosen, die an den Beinen ausgefranst sind und Turnschuhe.
Die Angestellten im Vestibül mustern ihn erstaunt, aber er kann ihnen eine Einladungskarte vorweisen, die er aus der Gesäßtasche seiner Hose hervorzieht. Sie deuten auf die Leere zwischen dem gerafften Vorhang. Die Schildwachen, die dort standen, haben sich zurückgezogen, da sie nicht mehr erwarteten, dass jetzt noch Gäste kommen.
Ernesto ist völlig unbefangen. Er hört Musik. Er sieht, wie sich die Jungen und Mädchen zu Paaren aufstellen.
Er geht auf ein Mädchen zu, das an der Spitze des Zuges noch allein steht. Es ist Rosa Santamarin. Die Gouvernante sucht noch nach einem Partner für sie. »Nicht Paco«, hat sie Rosa zugeraunt, »ich hole dir Felipe Asunto.« (Die Asuntos besitzen noch ein paar tausend Rinder mehr als die Santamarins.)
Das Mädchen hat Ernesto nicht kommen sehen. Als er ihren Arm berührt, fährt sie herum, reißt sich von ihm los, nimmt Abstand und mustert ihn dann mit zornigem Gesicht. »Wer hat den dreckigen Schuhputzerjungen hereingelassen«, zetert sie.
Erwachsene springen herbei. Die Kinder drängen sich um Ernesto. »Ruhe Kinder, Ruhe doch!«,
»Raus mit dir!« schimpft Rosa.
»Raus, raus, raus«, echoen die anderen Kinder, froh, dass sich endlich etwas Aufregendes ereignet.
Ernesto schüttelt den Kopf. Er könnte hinausgehen, aber er will nicht. Die Aufregung breitet sich durch seinen Körper hin aus. Er kann nichts dagegen tun. Er sieht die Menschen um sich gestikulieren. Rosas Hand zuckt vor. Ihre Nägel hinterlassen einen Kratzer auf seiner Wange. Immer noch staunt er über soviel Empörung. Die Kinder schieben sich näher heran.
Sie sollen Platz machen, denkt er. Die Luft ist so stickig. Er braucht Platz, um atmen zu können. Seine Hände verkrampfen sich. Er streckt die Arme aus, um die Menschen fortzuschieben.
Sie verstehen das falsch. »... jetzt auch noch unverschämt werden!« Er erhält eine Ohrfeige. Er weiß nicht von wem. Er schlägt zurück.
Der Hustenanfall beginnt. Er hustet, hustet.
»Widerlich«, empört sich Rosa.
Jemand packt Ernesto beim Kragen und versucht, ihn aus dem Salon zu zerren.
Er macht sich steif. Sie sollen ihn in Ruhe lassen, nur einen Augenblick, bis der Anfall vorbeigegangen ist. Er stemmt sich gegen seine Atemnot, verkrampft sich dabei noch mehr.
Don Manuel ist, als er das Geschrei nebenan gehört hat, ärgerlich aufgesprungen und in
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