Ich habe sieben Leben: Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che (German Edition)
zusammen wohnen. Sie bleiben im Baldio der nächsten Stadt, hausen in Wellblechhütten und Erdlöchern, in denen es manchmal noch schlimmer aussieht, als in den Quartieren der Peones zur Erntezeit.
Er hört von den Zuständen in den Kohlengruben der Provinz Jujury. Dort zieht man den Arbeitern die Zeit vom Lohn ab, die sie auf der Latrine verbringen. Keine Luftfilter in den Schächten. Mit 30, 35 Jahren hat der Staub den Männern die Lungen zerfressen. Sie schuften, bis sie tot zusammenbrechen. Sie wissen, wenn sie nicht mehr sind, erhalten ihre Angehörigen noch den Lohn für die laufende Woche, aber keinen Peso mehr. Bettelnd ziehen die Frauen und Kinder dann durchs Land.
Die Zuckerrohrplantagen beschäftigen hauptsächlich Indios. Jeder dritte von ihnen hat Tuberkulose und kaum einer kann lesen oder schreiben. Der Plantagenverwalter hat erklärt: »Um ein guter Zuckerrohrschneider zu sein, braucht man nicht lesen zu können.«
Ernesto müht sich damit ab, einer Gruppe von Indios, die als Wanderarbeiter herumziehen, Zahlen beizubringen, damit sie bei der Lohnabrechnung nicht übers Ohr gehauen werden. Als er am nächsten Morgen aufwacht, liegt er unter freiem Himmel. Sie haben ihm sein Zelt gestohlen und sind auf und davon. Er ist enttäuscht. Wenn sie mich darum gebeten hätten, ich hätte es ihnen geschenkt! Gleich darauf entschuldigt er sie: »Für sie bin ich jemand aus einer anderen Welt.«
Als er von seiner Reise zurückkehrt, sitzt der Onkel nicht mehr im Café »Bolo« beim Mate, vor sich einen Stoß Blätter, die er mit einem Aschenbecher zu beschweren pflegte. Jemand aus der Verwandtschaft hat ihm eine Anstellung als Korrespondent bei einer großen Export-Import-Firma in Buenos Aires verschafft.
Man hat ihn versorgt. Wer wird jetzt die Geschichten aus dem Spanischen Bürgerkrieg aufschreiben?
Die Lehrer in der Oberschule urteilen über Ernesto:
»Er nutzt jede Gelegenheit, um die katholische Kirche anzugreifen, hat marxistische Ideen und ist der Anführer der Linken in der Klasse.«
»Er ist ein hervorragender Schüler. Er sieht älter aus, benimmt sich älter, als er ist. Eine ausgeprägte Persönlichkeit, aber launisch und undiszipliniert: Ernesto setzt sich Ziele, die seine Möglichkeiten weit übersteigen.« Als sich die Mutter wegen einer krebsartigen Wucherung an der Brust einer Operation unterziehen muss, richtet er sich ein Amateurlaboratorium ein und beginnt mit Experimenten an Meerschweinchen in der verrückten Hoffnung, dem Geheimnis dieser Krankheit auf die Spur zu kommen. Eine Zeitlang trägt er sich mit dem Gedanken, ein Lexikon der Philosophie zu verfassen.
Und er verliebt sich. In Chichina Ferreyra. Sie stammt aus einer der reichsten Familien Cordobas. Ihre Eltern besitzen eine große Ranch, zu der Polofelder, Schwimmbäder, ein Gestüt mit arabischen Pferden und ein Musterdorf für die Peones, die in den Kalkbrüchen der Familie arbeiten, gehören.
Chichinas Eltern sind von dem schäbig gekleideten, manchmal schüchternen, dann wieder beißend arroganten Jungen irritiert.
Er selbst fühlt sich bei den Ferreyra unbehaglich. Ein paar Stunden imitiert, ja parodiert er den Konversationston und die Gesten der jungen Leute aus der Oligarquia, dann wird ihm das zu mühsam, und er löscht das vorgetäuschte Image mit einer boshaften Bemerkung wieder aus. Er weiß, er wird einen schlechten Eindruck hinterlassen. Er kann es nicht ändern. Sie sind, wie er nie sein wird.
In vierzig endlosen Liebesbriefen versucht Ernesto, Chichina klar zu machen, was er denkt, was er empfindet.
Da heißt es:
»Die Summe des Elends durch Ausbeutung ist zu groß, die Schuld dieser Klasse, in die Du hineingeboren bist, ist zu groß, als dass ich sein möchte, sein könnte wie sie. Ich verspüre diese Schuld manchmal nachts als einen Albdruck, und selbst Dein Bild, meine Liebste, meine Schöne, vermag nichts dagegen. Der schwankende Knochenturm, der Bottich der Tränen ... verdammt, was sollen diese poetischen Vergleiche! Komm einmal in die Calle de Chile heraus, und wir werden hinuntersteigen in die stinkende Senke. Man muss etwas dagegen tun. Ich kann nicht die Augen davor verschließen. Genauer: ich verschließe die Augen, und ich sehe es trotzdem. Deine Fingerspitzen können meine Lider nicht derart behexen, dass ich diese Bilder vergesse, der Duft Deines Körpers kann nicht aus meiner Phantasie die Anklage verdrängen, die von dem Elendsgestank ausgeht, der aus den Baldios herauf dampft. Reichtum ...
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