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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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Möbel zertrümmert. Außer einem auf der Erde liegenden Essbrett und einigen Matratzen war nichts mehr da, die von ihm zerfetzten Bilder hatte ich verschwinden lassen. Zen-Mönche wurden wir wegen unseres Verzichts auf jeden Komfort genannt. »Wenn die wüssten«, dachte ich oft, denn keinem hatte ich mich je anvertraut. Ich hütete Bennos Zustand wie ein Geheimnis. Mir wurde klar, dass ich ihn niemals würde heilen können, sosehr ich mir das auch eingebildet hatte.
    Doch das Interesse an allem, was in der Kunstszene geschah, verband uns weiter. Vieles an moderner Kunst, das in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur als »entartet« diffamiert und aus den Museen entfernt worden war, holte man jetzt nach. Und wir waren hungrig nach allem Neuen. Wir erhofften uns von der Kunst einen Einfluss auf die Gesellschaft, denn wir hatten uns ja zum Ziel gesetzt, sie zu verändern. Auch an den spannenden Entwicklungen in der Neuen Musik nahmen wir intensiv Anteil, an dem, was im Studio für Elektronische Musik, das Herbert Eimert im WDR begründet hatte, vor sich ging, am musikalischen Nachtprogramm und den Musik-der-Zeit- Konzerten von Otto Tomek, dem Leiter der Musikabteilung des Senders. Wir beobachteten, dass viele Komponisten, Interpreten und Theoretiker der Avantgarde nach Köln kamen und die Stadt sich zusehends zu einem Zentrum der modernen Musik entwickelte.
    Durch die Vermittlung von Karlheinz Stockhausen, damals bereits die treibende Kraft am Elektronischen Studio, kamen John Cage, einige seiner früheren Schüler und der Pianist David Tudor, der zu einem der wichtigsten Interpreten für experimentelle Klaviermusik wurde, aus Amerika nach Europa. Auch der Koreaner Nam June Paik, der bei Wolfgang Fortner in Freiburg Komposition studiert hatte, war dem Rat seines Lehrers gefolgt und 1958 nach Köln gezogen, um am Elektronischen Studio arbeiten zu können. Paik war schon immer einer der kühnsten experimentellen Künstler. Er sammelte im Studio die Tonbandschnipsel auf, die die anderen Komponisten als Ausschuss zurückließen, und stellte daraus in seinem eigenen Studio Sprach-Musik-Krach-Collagen her. Er besaß als einziger Musiker in Köln zwei Revox-Vierspur-Tonbandgeräte.
    Jahr für Jahr waren Benno und ich gemeinsam nach Darmstadt zu den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik getrampt, die seit 1946 als Impulsgeber für zeitgenössische Musik galten – und das weltweit. Wir quartierten uns immer in der Jugendherberge ein und besuchten so viele Veranstaltungen wie möglich. 1958 und 1959 waren besonders spannende Jahre in Darmstadt. John Cage, David Tudor und Stockhausen unterrichteten, weitere Dozenten waren unter anderem der Belgier Henri Pousseur, der Franzose Pierre Boulez, der Italiener Luigi Nono. Der Amerikaner La Monte Young, damals noch Student, und viele andere Musiker und Komponisten tauschten sich hier aus. Doch auch Architekten, Maler und Bildhauer zog es in den Bannkreis der Musik, denn hier traf sich die kulturelle Avantgarde. Danach fuhr man nach Köln zurück, wo das ganze Jahr über weitere Konzerte stattfanden.
    1959, auf der Rückreise von Darmstadt, geriet ich in einen Gewissenskonflikt. Benno war in diesem Jahr mit dem Fahrrad heimgefahren, und ich trampte mit Cornelius Cardew nach Frankfurt, wo wir mit David Tudor und dem Ehepaar Stockhausen verabredet waren, die dort noch einen Termin beim Rundfunk hatten. Wir wollten dann mit deren VW Käfer gemeinsam zurück nach Köln fahren.
    Cornelius und ich hatten am Morgen in Frankfurt einen langen Spaziergang durch einen Park unternommen und uns vieles anvertraut. Wie sympathisch er mir doch geworden war! Ich fühlte mich ernst genommen, auch in meiner Arbeit – das war damals für Frauen noch gar nicht so selbstverständlich. Wir stiegen dann zu Stockhausens ins Auto und traten die Heimreise an. Nach einer Weile hielten wir neben der Autobahn an, um auf einer Wiese zu picknicken. Ich sammelte unter einem Baum einige Äpfel auf und warf sie den anderen zu. Stockhausen fing einen auf mit den Worten: »Mit einem Apfel fing ja unsere ganze Misere an.« Zur Belustigung aller Beteiligten konterte ich: »Dann essen Sie ihn lieber nicht.«
    Auf der anderen Seite der Autobahn entdeckten wir einen Kiosk, an dem wir uns etwas zu essen besorgen wollten. Um dorthin zu gelangen, mussten wir über die Mittelleitplanke springen. Stockhausen und ich liefen spontan im selben Augenblick los, sprangen gemeinsam hinüber – er hatte mir die Hand

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