Ich haette dich geliebt
Wasser. Hilflose Versuche, das Unvermeidliche zu bekämpfen. Ich konnte lange nicht einschlafen. Ständig sah ich meine Mutter vor mir. Ich versuchte mich zu erinnern, ob sie nicht doch etwas hatte durchblicken lassen. Irgendeine Bemerkung über meinen Vater. Aber da waren nur indirekte Aussagen, in die ich wie wild Dinge hineininterpretierte.
In einem alten Schwarz-Weiß-Schinken aus den Fünfzigern, den wir zusammen gesehen hatten, verlässt der Protagonist seine Frau, weil er sich in eine andere verliebt. Ein klassischer Filmplot. Er macht sich die Entscheidung schwer. Als er zu seiner Frau zurück will, lässt sie ihn abblitzen. Erst ganz am Schluss darf er wieder in ihre häuslichen Gemächer. Meine Mutter regte sich nicht etwa über den Mann auf, sondern über die Frau. Dass sie dem Betrüger verzeiht. Daraus schloss ich, dass mein Vater nach einem Fehltritt vielleicht versucht hatte, zu uns zurückzukommen. Und ich weiß noch, dass ich froh war, dass meine Mutter ihn anscheinend vor die Tür gesetzt hatte.
Er hätte doch nur gestört. Wozu sollte ein Vater gut sein? Ich kannte Väter nur von meinen Schulfreunden. Wenn man sie überhaupt mal sah, dann sahen sie meistens streng aus und sprachen Verbote aus. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, was der Vorteil der Anwesenheit eines Vaters sein sollte. Als ich den Vater von Kai kennenlernte, war ich irritiert. Er nahm seinen Sohn in die Arme und erzählte Witze. Er machte mir Komplimente. Ich fand ihn rührend. Und als ich Kai fragte, ob er seinen Vater liebe, sagte er: „Und wie!“
Bis dahin glaubte ich an die Notwendigkeit von Familiensystemen. Dass ein Vater eine Bereicherung sein konnte, habe ich da zum ersten Mal erahnt. Bis heute schaue ich lächelnden Vätern, die ihre Kinder in die Luft werfen, ihnen durch die Haare streichen oder sie einfach nur an der Hand halten, mit einer eigenartigen Mischung aus Skepsis und Neid hinterher.
2. Hoffnungsschimmer
„Mensch Mädchen, du siehst ja total fertig aus.“
Hartmut Seewinkel gaffte mich an wie einen streunenden Köter. Mir ekelte immer ein bisschen vor ihm. Rund um seinen Mund war sein Bart gelb verfärbt. Vom ständigen Qualmen. Unablässig steckte ihm eine Kippe im Mundwinkel.
„Ich war bei Willy und habe ihm ein bisschen geholfen. Dann sind wir versackt.“
„Und wie geht's dem ollen Willy? Wer frisst denn diesen teuren Mist eigentlich?“
„Leute mit Geschmack, lieber Hartmut.“
„Ach so verstehe. Naja, meine tägliche Ration Bockwurst ist keine Frage des Geschmacks.“
Er hustete und keuchte, während er das sagte. In meinem Kopf hämmerte es. Ich verfluchte meine Maßlosigkeit. In der Früh hatte ich aus Verzweiflung Wechselduschen genommen. Heiß und kalt. Immer abwechselnd. Und weil ich mich die ganze Zeit darauf konzentrieren musste, mich nicht zu übergeben, hatte ich noch nicht mal Zeit, an meinen toten Vater zu denken.
„Also machen wir jetzt das Interview?“
„Klaro, komm mit.“
Ich folgte Hartmut in die Kulturscheune. Es gab dort ein kleines Café. Sie machten den besten Blechkuchen der ganzen Stadt. Aber alleine beim Gedanken an feste Nahrung drehte sich mir der Magen um. Ich bestellte eine Apfelschorle und Hartmut ein Bier. Ich musste mich sehr weit nach hinten lehnen, um nicht den hefigen Geruch des Weizens in die Nase zu kriegen. Hartmut Seewinkel konnte ein anstrengender Gesprächspartner sein. Vor allem redete er gerne über sich und seinen Beitrag, den er der Kultur zukommen ließ. Ich wollte eigentlich nur etwas über diese „Russian Voices“ erfahren. Aber er kam erst nach einer halben Stunde verbalen Nonsens' darauf zu sprechen. Ich musste durchhalten und hielt ihm tapfer das Mikrofon meines kleinen digitalen Aufnahmegerätes unter die Nase. Die ganze Zeit über hustete Hartmut vor sich hin. Und jedesmal hüpfte der Rest von seinem weißen Haarkranz in die Luft.
Ich musste am Abend wiederkommen und ein paar Stimmen vom Publikum aufnehmen. Hartmut gab mir ein paar Hörproben mit, die ich gut in den Beitrag schneiden konnte. Das Ganze klang interessant. Chöre aus Russland wollten ihr anscheinend sehr modernes Programm präsentieren. Dabei handelte es sich nicht um die üblichen folkloristischen Männerformationen, sondern um junge Sing-Gruppen, die innovative Musik versprachen. Ich fragte mich, wer hier in dieser verstaubten Stadt so weit über den Tellerrand schaute, um sich das mal anzuhören.
„Wieviele Karten hast du verkauft?“
„Ein paar erst.
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