Ich hatte sie alle
Ein heißes Bad oder zwanzig Mark zum Saufen?«
Erwin und Stucki diskutierten nicht lange, bedankten sich bei meinen Eltern für die Gastfreundschaft und schlurften zurück in Richtung Park. Meine Segnungen verhallten im Hausflur.
Dann endlich sprach meine Mutter aus, was seit Jahren der eigentliche Hintergrund unserer interfamiliären Glaubenskriege war und mich zur sofortigen und endgültigen Aufgabe meines Kreuzzuges bewegte: »Tochter, egal, was du als Nächstes anstellst, und wenn du damit drohst, zu den Zeugen Jehovas überzulaufen, ob du ins Kloster gehen willst oder dich von Jürgen Fliege taufen lässt – wir werden kein schlechtes Gewissen bekommen und dir deswegen einen Hund schenken. Vergiss es!«
Mist, sie hatten mich durchschaut. Blut ist einfach dicker als Weihwasser und wird es immer bleiben.
Viele Verlage lehnten meinen Roman ab. Manche grundsätzlich, andere, weil er nicht ins Programm passte, wieder andere, weil er zu gut ins Programm gepasst hätte. Nur ein Verlag empfahl sich mit einer wirklich lustigen Ablehnungsbegründung: zu unamerikanisch.
Wie konnte das denn passieren? Liegt es an meiner alten europäischen Nase oder dass ich es gewagt hatte, mein Buch auf Deutsch zu verfassen, weil ich annahm, ein in diesem Land beheimateter Verlag würde das positiv auffassen? Hatte ich mich damit zu sehr eingeschleimt? Hatte ich es versäumt, Chewing-Gum zwischen die einzelnen Seiten zu kleben und den Lektor zum Lunch auf meine Ranch einzuladen?
Ich schrieb dem Verlag zurück, dass Michael Moore schließlich auch gerne als unamerikanisch bezeichnet wurde und ein Blick auf dessen Verkaufszahlen gewissen Leuten im Lektorat vielleicht mal auf die Sprünge helfen könnte. Der Verlag ignorierte das. Vielleicht hätte ich mir bei meinem Schreiben die Grußformel »Ich bin halt nicht Karl May, Ihr Imperialisten!«, einfach verkneifen sollen.
Seitdem hocke ich unverstanden und unamerikanisch in meinem Zimmer herum. Aber verzage ich? Oh nein. Wenn ihr mir einen Stempel aufdrücken wollt, halte ich auch noch den zweiten Handrücken hin, setze mich an meine verstaubte, mechanische Schreibmaschine und gebe euch Saures. Ach was, Saures. Ich gebe euch Unverdauliches, Verstörendes, ich gebe euch den geballten Hass des alten Europas, ich gebe euch:
Meinen ultimativen französischen Autorenfilm
Ein Exposé
Arbeitstitel: »Die Nacht mit Cathérine oder
der Schrei der bretonischen Möwe«
Szene 1
Ein Mädchen, Minouche, zündet sich lasziv und gleichzeitig ungemein unschuldig eine Filterzigarette an. Zoom auf die Fluppe. Es ist eine Gitanes. Das Mädchen, Minouche, führt sie zu ihren Lippen. Die Zigarette, Symbol des ewig seligmachenden Konsums, scheint in dem riesigen, sinnlichen Mund des Mädchens zu verschwinden. Eros ringt mit Mammon, minutenlang. Schließlich besinnt sich Minouche und zieht an der Kippe, anstatt sie zu essen. Wir spüren Unbehagen, wenn auch subtiles. Schließlich brennt die Kippe nieder, aber auch das Mädchen, Minouche, verschwindet in ihrem Rauch. Es gibt keine Gewinner.
Szene 2
Rémy raucht auch. Er hat einen Vaterkomplex. Er ist reich und wütend, was wir auf den ersten Blick an seiner Scheißfrisur erkennen. Er zerknüllt einen Zettel in seiner Hand; wir werden nie erfahren, welche Botschaft der Zettel enthielt oder ob überhaupt.
Cathérine Deneuve betritt das Zimmer. Es kommt zum Dialog:
Rémy: »Maman?«
Cathérine: »Ja, Rémy?«
Rémy sinkt in Cathérine Deneuves Schoß zusammen, sie streichelt ihm über den Kopf, Sitz der Seele. Als Rémy aufsteht, sieht seine Frisur noch beschissener aus. Es kommt zur Auseinandersetzung.
Rémy: »Maman. Es ist wegen Papaaaaa.«
Cathérine: »Ich will nicht, dass du so über ihn redest. Schließlich ist er dein Vater.«
Cathérine gibt Rémy eine schallende Ohrfeige, um das Gesagte zu Untermauern. Rémy verlässt das Zimmer in Agonie.
Eine Möwe schreit, mitten in Paris.
Cathérine wirft sich auf das Bett ihres Sohnes, weint bitterlich, besinnt sich, raucht eine und bringt ihre Frisur in Ordnung. Die Abnabelung scheint vollendet.
Szene 3
Die Handlungsstränge verknüpfen sich. Gérard Depardieu sitzt in einer Kneipe und raucht. Vanessa Paradis, die sich nun endlich erfolgreich von ihrem Lolita-Image losgesagt hat, betritt das Lokal in hautengen Leder-Hotpants und setzt sich auf Depardieus Schoß. Isabelle Huppert spielt Cello dazu, bis es dem Wirt, dargestellt von Jean Reno, zu bunt
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