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Ich hatte sie alle

Ich hatte sie alle

Titel: Ich hatte sie alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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Andi entkommen, dachte ich an meine Oma – und fand sie plötzlich gar nicht mehr so schlimm. Vielleicht lag es an den vielen bunten Tabletten, die noch in meiner Blutbahn kreisten, aber irgendwie war ich froh, dass meine Oma meine Oma war, die mir rechtzeitig beigebracht hatte, wie man sich langhaarige Schluffis in viel zu engen weißen Hosen vom Leib hält.

Meine Eltern sind sehr früh aus ihrer jeweiligen Kirche ausgetreten, beide aus völlig unterschiedlichen Gründen. Mein Vater las kurz vor seiner Konfirmation die Bibel durch, befand einige Stellen für interessant und kurzweilig, ließ aber anschließend den Pfarrer wissen, dass ihm die Sache mit Gott dann doch zu weit ginge. Schließlich wollte er schon immer Lehrer werden, und die glauben nicht, die wissen besser. Man entließ meinen Vater daraufhin relativ unkompliziert aus seiner Gemeinde.
    Meine Mutter hingegen hatte ihre Probleme mit dem stellvertretenden Management. Sie konnte nicht auf den Papst, den sie als ihren persönlichen Erzfeind betrachtete, wenn es um ihr Lieblingsthema ging: die Verhütung schlimmer Krankheiten und noch schlimmerer Kinder.
    Was macht also das Kind dieser Eltern, wenn es merkt, dass es Zeit wird, Grenzen auszutesten und seine eigene Persönlichkeit zu entwickeln? Was tut so eine Achtjährige, die den wunden Punkt ihrer Ahnen entdeckt hat und daraus ihren Vorteil ziehen will? Genau,sie fragt beim Abendessen, fast beiläufig und in unschuldigem Ton: »Könnten wir nicht vorher mal beten?«
    Und sieht dann mit unverhohlener Freude zu, wie ihre Eltern in die Pasta speien.
    »Kind, für wen willst du denn beten?«, fragte mich meine Mutter misstrauisch, als sie sich von ihrem Schluckauf erholt hatte.
    »Und vor allem an wen?«, erkundigte sich mein Vater mit seltener Strenge im Ton.
    Ich beschloss, ihnen nun die volle christliche Breitseite zu geben.
    »Ich möchte dem Herrn Jesulein danken für das schöne Mahl und ihn bitten, auch etwas Bolognese für die armen Kinder in Äthiopien zu zaubern.«
    Mein Vater blieb relativ gelassen: »Solche Bolognese kann nur dein Papa zaubern, also iss, solange noch da ist.«
    Meine Mutter nahm die Warnsignale ernster. Sie suspendierte mich am nächsten Tag vom Religionsunterricht, als erstes Kind einer Münsteraner Grundschule überhaupt. Das stachelte mich natürlich noch mehr an, aber ich arbeitete zunächst im Untergrund weiter an meinen Plänen. Weihnachten 1986 ließ ich die erste Bombe platzen: Ich gewann das Bibelquiz der Jugendgemeinde Apostelkirche, der Pfarrer teilte meinen Eltern persönlich seine Glückwünsche mit.
    Von da an änderte meine Mutter ihre Taktik. Sie zeigte mir ein Bild von Helmut Kohl.
    »Das ist der Chef von der CDU, dem Verein, dendeine Eltern noch weniger mögen als Bayern München. Möchtest du mit dem unter einer Decke stecken?«
    Der grausame Anblick fror meinen Drang nach Mission für einen kurzen Moment ein. Dann aber kam ich auf eine neue, bahnbrechende Idee: Ich würde das Christentum reformieren, indem ich ganz einfach genau wie Jesus würde. Nachdem ich noch einmal das neue Testament nach durchführbaren Wundern durchforstet hatte, entschied ich mich für ein Potpourri seiner größten Erfolge, die ich im elterlichen Wohnzimmer nachzuspielen gedachte.
    Der Coup war perfekt geplant, aber irgendwo musste eine undichte Stelle gewesen sein. Ich vermute, dass mein damals vierjähriger Bruder, den ich als Komplizen angeheuert hatte, den Mund nicht hatte halten können, konnte ihn aber nie überführen.
    Denn als meine Eltern am Tag X das Wohnzimmer betraten, verloren sie gar nicht so schön den Verstand, wie ich es mir ausgemalt hatte. Sie setzten sich ganz cool auf die Couch neben die Aussätzigen und Siechenden, die ich mit ein paar Tetrapacks Aldi-Rotwein aus dem Stadtpark gelockt hatte.
    Meine Eltern schienen überhaupt keine Notiz von den mit Wasser und Muttis Chanel Nummer 5 gefüllten Putzeimern zu nehmen, die ich aufgestellt hatte, um im Verlaufe des Nachmittags unseren beiden Stadtpennern Erwin und Stucki die Füße zu salben.
    Mein Vater steckte sich ganz ruhig eine Zigarette an und sagte trocken: »Hast du keine Zöllner finden können? Und mit dem einen oder anderen gefallenen Mädchenwäre die Party etwas stimmungsvoller, meinst du nicht?«
    Erwin und Stucki brummten zustimmend. Sie sollten mich verraten, ehe der Hahn dreimal krähte.
    Meine Mutter köderte die beiden mit dem ältesten, heidnischsten Trick der Welt: »Also, was wollt ihr lieber?

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