Ich hatte sie alle
Zwangsscrabbeln verpflichtet. Mit meiner Oma zu scrabbeln war alles andere als ein Kinderspiel. Ich spielte gegen sie, meine Großtante Friedel und die Sanduhr. Es gab einen Duden, ein lateinisches Lexikon und zwei Wassergläser auf dem Tisch. Wenn es den alten Damen nicht schnellgenug ging, wurden sie nervös. Dann legten sie ihre Gebisse in die Gläser. Wenn die Diskussion allzu hitzig wurde, legte meine Großtante auch noch ihre Perücke dazu. Ich lernte, diplomatisch zu werden. Lieber das Wort »Quyxmalz« gelten lassen, als Tante Friedels Glatze zu sehen. Ich verlor jedes Mal, woraufhin meine alte Dame zu sagen pflegte: »Na ja, vielleicht erbt das Mädchen wenigstens mein gutes Aussehen und findet einen Mann.«
Meine Oma hielt sich immer noch für höllisch attraktiv, was wohl daran lag, dass sie zum Vergleich nur Tante Friedel hatte.
Als ich dreizehn wurde, war immerhin klar, dass ich ihre Nase geerbt hatte. Die alte Dame machte sich große Sorgen, wie sie mich verheiraten könnte. Ich konnte ja nicht mal stricken.
Meine Mutter machte meine Oma darauf aufmerksam, dass es meiner psychischen Entwicklung nicht unbedingt förderlich war, wenn diese mich immer »den Hammerhai« nannte. Meine Oma sah das schweren Herzens ein, nannte mich fortan »Rübennase« und brach sich drei Jahre später den Arm, natürlich beim Scrabbeln.
Ich besuchte sie einmal im Krankenhaus, weil ich hoffte, ihre Bewegungsunfähigkeit würde sie milde stimmen. Ich brachte ihr sogar einen Strauß Nelken mit.
»Na, Rübennase, immer noch keinen Freund?«, begrüßte sie mich.
Ich stellte die Nelken in ihr Wasserglas und sagte: »Nein, Oma.«
Sie seufzte unendlich enttäuscht. Dann bat sie mich, nach dem Zivi zu schellen.
»Was brauchst du denn, Oma? Kann ich dir nicht helfen?«
»Nein, Rübennase, heute werde ich dir helfen!«
Ich klingelte. Ein 18-jähriger Zopfträger kam hereingeschlurft und grinste meine Oma an: »Was kann ich für Sie tun, Frau Buddenkotte?«
Meine Oma zog drohend eine Augenbraue hoch.
»Entschuldigung, Frau Buddenkotte derer zu Erbdroste.«
Meine Oma nickte zufrieden. Dann zeigte sie mit dem eingegipsten Arm auf mich: »Herr Andi, das ist meine Enkelin.«
Der Zivi Herr Andi sah mich an, ich sah weg.
»Schön, und?«
Meine Oma strahlte. Der Herr Andi kannte meine Oma erst seit drei Tagen, also versäumte er es, sich in Sicherheit zu bringen. Ich war bewegungsunfähig. Meine Oma nutzte die Gelegenheit.
»Schön, genau, schön. Wie findest du denn den Herrn Andi, Kathrinchen?«
Ich war damit beschäftigt, die Pillen vom Nachttisch wahllos in mich reinzustopfen und auf ein baldiges Ableben zu hoffen, deswegen schluckte ich nur dumpf. Meine Oma rollte ungeduldig mit den Augen.
»Herr Andi, drehen Sie sich doch mal ein bisschen, ja?«
Herr Andi zuckte mit den Schultern, aber er drehte sich ein bisschen für meine Oma. Ich wollte und wolltenicht tot umfallen, nicht einmal ein wenig ersticken. Meine Oma winkte dem Herrn Andi huldvoll zu: »Sie können gehen Herr Andi, danke.«
Herr Andi ging, ich kotzte auf die Nelken. Meine Oma missinterpretierte mein Verhalten:
»Ja, ich weiß, er ist nicht der Hellste, aber ’nen besseren findest du hier nicht. Soll ich ihn noch mal reinrufen?«
Sie tastete nach der Klingel, ich riss sie aus der Wand. Ich war so fertig mit den Nerven, dass ich es zum ersten und letzten Mal wagte, meiner Oma Kontra zu geben: »Lieb gemeint von dir, Oma, aber ich glaube, ich muss jetzt wirklich gehen.«
Auf dem Gang kam mir der Herr Andi entgegen. Ich wollte wegrennen, aber er verstellte mir geschickt mit einem Bett den Weg.
»Äh … Kathrinchen? Ich wollte dir nur sagen, dass es schlimmere alte Leute gibt als deine Oma.«
Ich schüttelte den Kopf, langsam aber nachdrücklich.
Herr Andi ließ sich nicht beirren: »Doch, sie hält wirklich große Stücke auf dich. Ich meine, sie redet im Schlaf von dir. Sie lächelt dann so entrückt und sagt: Gut, dass mein Mädchen kein Rudolf geworden ist .«
Ich war sprachlos. Herr Andi kratzte sich am Kopf.
»Das finde ich übrigens auch schön. Dass du kein Rudolf geworden bist, meine ich.«
Ich guckte den Herrn Andi an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Wahrscheinlich etwas Nettes. Leider kannte ich mich damit nicht so gut aus, versuchte estrotzdem: »Deine Drehung war aber auch ziemlich gut, Herr Andi.«
Der Herr Andi sah mich fassungslos an, dann ließ er mich passieren.
Vor den Pforten des Krankenhauses, den Fängen des Herrn
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