Ich hatte sie alle
werden, aber auch unterhaltsam sein. Sie wollen im Glanze der Scheinwerfer und Discolichter, des Kerzenscheins und der Neonröhren erstrahlen, für ein paar kurze Stunden ihre kleinen und größeren Sorgen vergessen. Für einen magischen Moment sollen sie sich vorstellen dürfen, dass ihr Leben nicht das schlechteste Leben ist. Und ich gebe jeden Abend mein Bestes, um ihnen diesen einen magischen Moment zu schenken. Meist gelingt es mir – denn ich bin die schlechteste Barkeeperin der Welt.
Wenn ich Hummeln im Hintern habe, mutiere ich auch kurzfristig zur schlechtesten Servicekraft der Welt, denn, um ehrlich zu sein, Bistro-Tische einkreisen, das kann ich wirklich noch schlechter.
Nahezu ergreifend mies bin ich beim Sonntagsfrühstück. Ich kann zum Beispiel gleichzeitig frische Brötchen so aufbacken, dass sie steinhart werden, eine Pulverspur am Rand der Kaffeetasse hinterlassenund diese bescheuerten Kaffeesahnetöpfchen so auseinanderknicken, dass es aus allen Löchern gleichzeitig spritzt, bis zu acht Meter weit. Dann dekoriere ich die Käsescheiben so, dass sie selbst auf einem ganz kleinen Teller viel kleiner und krumpeliger aussehen. Niemand wirft so lieblos Butter in den Brotkorb wie ich, keine andere zaubert einen Latte macchiato so dahin, dass er aussieht wie eine Luftaufnahme der Vulkaneifel bei starkem Regen.
Aber leider ist nicht immer Sonntag, deswegen konzentriere ich mich mehr und mehr auf die Nachtschicht, auf meinen Auftrag hinter der Bar, den Ort, wo ich Erlebnisgastronomie ganz neu definiere.
Besonders freue ich mich immer darauf, neue Weinflaschen zu öffnen. Da vermutet der Kunde schnell und richtig, dass ich früher kleinere Verletzungen an wehrhaften Meerschweinchen und Goldhamstern selbst verarztet habe. Denn ganz gleich ob Haustier oder Hauswein, mein Gebaren beim Einfangen und Fixieren von beiden ist exakt dasselbe. Die ersten Minuten kämpfe ich mit dem Korkenzieher, dann wieder gegen ihn. Beim Einschenken könnte man denken, dass ich hinter dem Rücken ein Furzkissen verwende, aber der Trick besteht darin, dass ich einen perfekten Gluckerwinkel wähle. So hört sich selbst der edelste Tropfen nach Tetrapack an, und fragen Sie lieber nicht, wonach es aussieht. Es sei denn, Sie sind wie ich Schlangenphobiker und träumen ebenfalls davon, einem äußerst ausgewachsenen Exemplar einer Boa Constrictor zuvorzukommen und das Biest einmal spontan und dochrechtschaffen zu würgen, nahezu auszuwringen, mit aller Kraft, die Sau.
Diese Phantasie lebe ich jeden Abend an mehreren unschuldigen Flaschen Rioja aus, vor dem geneigten Publikum. Die Szene koste ich immer wieder in zermürbender Länge aus, halte sie dabei aber natürlich frei von jeglicher erotischen Anspielung. Es liegt mir fern, irgendjemanden auf billige Art und Weise zu besudeln, ich will die Leute komplett eintauchen in das heikle Tabuthema der Jobverfehlung.
Die meisten haben es an diesem Punkt gerafft, einige aber müssen nachgeschult werden. Das funktioniert am besten durch die ganz persönliche Einbindung des Gastes. So messe ich die Temperatur des Weines grundsätzlich mit zehn Fingern am Glas, notfalls mit zwei Fingern im Glas. Zögernd und einmal scharf nach links schwappend überreiche ich dann den fettigen Kelch an mein Gegenüber und sage grundsätzlich: »Das ist jetzt der andere, der eine war aus.«
Manche Menschen verstehen meine Kunst auch dann noch nicht; sie sind verunsichert, zur Toleranz erzogen worden, oder vielleicht gibt es bei denen gar ein Paar aus dem entfernten Bekanntenkreis, das ebenfalls ein schwer geistig und motorisch zurückgebliebenes Kind großgezogen hat. Diese Leute verlässt schon beim zweiten Gang zur Theke die Courage, und sie bestellen sich trotz heftiger Hopfenabneigung ein Flaschenbier. Auf diese Klientel muss ich dann noch einmal besonders einwirken. Mit dem »bösen« Öffner jage ich die handwarme Flasche über die Theke, erwische denKronkorken dann doch, werfe einen besorgten Blick auf den abgesplitterten Rand der Flaschenöffnung, wische mit dem versifften Schürzenzipfel noch einmal drüber und sage: »Ist aber nichts reingefallen.«
Damit bringe ich selbst lammfromme Troddelslipperträger zur Weißglut, gestandene Sonderpädagoginnen schnappen durch ihre Poncho-Öffnungen nach Luft. Wichtig hierbei: Es ist der Ton, mit dem ich die Musik mache. Es ist so eine Mischung aus misslungener Entschuldigung und völliger Resignation, eine Art autistischer Verzweiflungsdreingabe, die mit
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