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Ich lebe lebe lebe - Roman

Ich lebe lebe lebe - Roman

Titel: Ich lebe lebe lebe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison McGhee
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Ich mag sein Grinsen, es hat so gar nichts Hinterhältiges. Es ist einfach nur ein Grinsen, fertig.
    Angel, die Schwester, die jeden Tag eine andere Engel-Anstecknadel trägt, kommt zur Tür herein. Sie heißt nicht wirklich Angel. Ihr richtiger Name, laut dem Schildchen, das direkt unter dem jeweiligen Engel des Tages steckt, ist Dorothy Van Gulden. Aber beim ersten Blick auf ihren Engelanstecker, gleich, als er sie kennenlernte, hat William T. sie in Angel umbenannt. Jetzt nimmt sie Ivys Krankenblatt, schaut auf den Monitor des Beatmungsgeräts und macht sich ein paar Notizen. Das leise Rauschen dieses Geräts, das Luft in die Lungen meiner Schwester pustet, ist das sanfteste Geräusch der Welt. Angel legt das Krankenblatt beiseite und streicht Ivy übers Haar. Das macht sie immer so.
    »Und – wie heißt der Vogel des Tages, William T.?«, fragt sie.
    Auch das gehört zu ihrem Ritual. Denn während William T.hinter mir sitzt, auf seinem blauen Stuhl in der Ecke, liest er in seinem Vogelbuch. William T. nutzt die freien Stunden, die er im Pflegeheim Rosewood verbringt, sehr klug: Er verbessert seine Kenntnisse über die Vogelwelt Nordamerikas.
    »Ich gebe Ihnen einen Tipp, Angel«, sagt William T. »Der Vogel des Tages ist ein langflügliger, äußerst schnell fliegender Verwandter des Sturmtauchers.«
    »Oje. Ich habe ja noch nicht einmal gewusst, dass es den Sturmtaucher gibt, wie soll ich da seine Verwandten kennen?«
    »Angel – wie zum Teufel können Sie sich eine Vogelfreundin nennen, wenn Sie noch nicht einmal den Sturmtaucher kennen?«
    »Tu ich ja gar nicht«, sagt Angel. »Ich hab mich noch nie eine Vogelfreundin genannt.«
    William T. schüttelt den Kopf.
    »Pech für Sie. Der Vogel des Tages ist ein Verwandter des Sturmtauchers, man findet ihn hundert bis zweihundert Meilen vor der kalifornischen Küste. Raten Sie einfach.«
    Er wartet. Das ist Teil ihres Rituals. Angel tut so, als dächte sie angestrengt nach.
    »Eine Meise?«
    »Eine Meise? Du lieber Himmel!«
    »Vielleicht eine Art Offshore-Wasserfledermaus?«
    »Eine Offshore-Wasserfledermaus? Gibt es so etwas?«
    »Möglich ist alles«, sagt Angel.
    »Alles bis auf Offshore-Wasserfledermäuse«, sagt William T. »Geben Sie auf ?«
    Sie nickt.
    Angel gibt immer auf, jeden Tag.
    »Der Vogel des Tages«, sagt William T., »ist eine Röhrennase.«
    Sie nickt anerkennend, so wie sie es jeden Tag tut, und wendet sich wieder Ivy zu. Sie massiert Ivy die Füße. Sie streicht ihr dasHaar aus der Stirn. Ivys Gesicht ist so schön. Vollkommen. Niemand, der sie ansieht, käme darauf, wie schwer die Verletzungen in ihrem Kopf sind. Angel berührt kurz Ivys Gesicht, dann geht sie zur Tür. William T. salutiert, als wäre er ein Soldat und sie sein befehlshabender Offizier. Das ist der letzte Teil des gemeinsamen Rituals. Angel lächelt ihn an.
    »Rühren, William T.«, sagt sie, bevor sich die Tür hinter ihr schließt.

3
    Ivy und ich hatten einen Unfall. Es dämmerte schon in den Adirondacks an jenem Abend, wir kamen gerade um eine Kurve. Ivy ist voll auf die Bremse getreten, doch ein hellblauer Truck war zu schnell und schlitterte direkt in uns hinein. Es passiert immer noch.
    An manchen Tagen wache ich morgens auf, die Sonne schimmert schon hinter den Wipfeln der Kiefern auf der anderen Straßenseite, ein neuer Tag bricht an, ich liebe den Tag, ich wache gern auf, aber irgendetwas stimmt nicht – irgendetwas stimmt nicht – irgendetwas –
    Oh.
    Der Unfall hört nicht auf, er geschieht immer aufs Neue. Wieder und wieder geschieht er, und ich würde alles dafür geben, meine Schwester zurückzubekommen.
    Würdest du wirklich?, höre ich Ivy sagen. Auf was würdest du denn dafür verzichten, Rosie, so ganz konkret?
    Meine Schwester wusste, wie sehr mich der Gedanke an Opfer fasziniert, an Verzicht. Geschichten von Märtyrern und Heiligen. Immer wieder habe ich mir selbst Zeiten der Entsagung auferlegt. Auf heißes Wasser verzichtet beim Duschen. Auf den Nachtisch in der Fastenzeit. Auf eine Extrarunde Schlaf an Ferientagen. Auf meine Heizdecke in kalten Winternächten.
    »Ich prüfe mich selbst«, habe ich Ivy immer erklärt. »Gute Vorbereitung für Hürden im späteren Leben.«
    Als wir noch klein waren, habe ich ein paar von William T.s alten Autoreifen in den Wald gezerrt und hintereinander aufgereiht.
    »Das hier ist ein Parcours für einen Hindernislauf«, habe ich Ivy erklärt. »Um die höchste Wertung zu bekommen, musst du aus der Mitte eines

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