Ich lege Rosen auf mein Grab
kopfsteingepflasterte Gasse hinein, lief er an der Matthäi-Kirche vorbei auf das Tor am Friedhofseingang zu, las die neue Inschrift, Künstlernothilfe wohl, golden, in geschmiedetes Eisen geflochten: Hier ist Ruhe. Gönnet sie den Müden.
Das sprach ihn an, er ging hinein.
Wieder Journalist geworden, formulierte er sogleich für sich: Jossas Ende – Auf dem Brammer Friedhof Selbstmord begangen. Die Odyssee des Mannes, der Mugalle sein mußte, hat heute nachmittag in Bramme ihr tragisches Ende gefunden.
Mann, hör auf!
Er hatte Mühe, die Stimmen, die in ihm waren, wieder auszuschalten.
Da gehst du nun dahin, Jens-Otto Jossa, wie zu deiner eigenen Beerdigung…
«Schluß jetzt!» schrie er, und die alten Damen, die die Gräber ihrer Lieben pflegten, fuhren, im Dialog mit ihnen gestört, heftigwütend herum, tippten sich, zumindest in Gedanken, mit dem Finger an die Stirn.
Er wollte neben Eva in der Erde liegen, in Bremen, auf dem Osterholzer Friedhof dort, und er setzte sich auf die nächstbeste freie Bank, um das in seinem Abschiedsbrief ganz dick zu unterstreichen.
Die Batterie ist leer, begann er, ich habe nicht die Kraft, das alles durchzustehen, wieder der zu werden, der ich bin: Jossa eben. Nicht ich bin der Irre, schrieb er weiter, benutzte einen Rand des Brammer Tageblatts als Bogen, die Welt ist irre, die die Menschen aus ihren Lebensbahnen schleudert und sie als Trümmer im toten Weltraum treiben läßt. Alle sind wie Schizophrene, unglücklich in und mit uns, aber noch unglücklicher, wenn wir uns verlassen müssen, freischwebend dahinvegetieren, unfähig dazu, in anderen Schneckenhäusern ein neues Leben zu beginnen und dem Verfalle preisgegeben, wenn es uns verwehrt ist, in die eigene, mal verlassene Hülle später wieder zurückzuschlüpfen, in ihr von neuem zu wohnen. Mein Schneckenhaus, meine Hülle ist verschwunden, ich sitze nackt und schutzlos hier, kann nicht Mugalle, darf nicht Jossa sein, bin damit ein Nichts, schlimmer dran als Kasper Hauser.
Jossa hielt inne, dachte daran, was sein Redakteur wohl sagen würde, bekäme er diese Zeilen zu sehen.
«Wir sollten unseren Lesern eher was geben, woran sie sich aufrichten können…»
Immer wieder müssen sie bellen, diese impotenten Intellellen!
Originalton Anja, wenn er ihr damals in Hannover seine Klagelieder vorgetragen, seine Kritiker verflucht hatte.
Er sah zum Kirchturm hinauf, das Kreuz in der langsam sinkenden Sonne im warmen Goldton blinken und hoffte, daß sie vielleicht doch noch recht hatten mit ihrem Christenglauben, daß es ihre Auferstehung irgendwie gab, er Eva, in welcher Form auch immer, wiedertraf, wenn er sich jetzt, er sah sich schon hinaufklettern, vom Wasserturm, der Brüstung oben in die Tiefe stürzte.
Alles hat sich gegen mich verschworen, schrieb er weiter, was soll ich da noch machen?
Schrieb es und sah auf, weil seine Augen böse brannten, wollte, um dem abzuhelfen, einen Punkt in der Ferne fixieren, den Fernsehsender auf dem Reiherberg vielleicht.
Da fiel sein Blick auf eins der reichlich ungepflegten Gräber am runden Wasserbecken drüben, auf einen kleinen schwarzen Stein und fünf handtellergroße, mit reichlich Gold gefüllte Lettern:
J O S S A
Er ließ seinen Abschiedsbrief fallen, stürzte hin, stand stumm und staunend da, begriff alles und nichts.
Ja, Jens-Otto Jossa, ja, sein Geburtsdatum, absolut korrekt, ja, hier lag er begraben.
Was hieß das, das hieß…
… Mugalle also tot, Mugalle hier auf dem Brammer Friedhof zur letzten Ruhe gebettet!
Er hörte es wie in einer aufgeregten Reportage.
Keiner mehr da, alles authentisch zu klären, ein Geständnis abzulegen, ihm zur Rückkehr zu verhelfen.
Er brauchte keinen mehr zu jagen.
Der richtige Mugalle… tot. Als Jossa hier im Sarg… Die Wahrheit, unfaßbar. War zehn-, zwanzigmal zu wiederholen, mit Rosenkranzmonotonie herunterzubeten, ehe er sie glauben konnte.
Das war das Urteil für ihn.
Acht, neun, AUS!
Das Licht verblaßte, die Sonne hatte nur noch Mondscheinkraft, und wie ein Nachtwandler ging, schwebte, glitt er zum Nachbargrab hinüber, nahm einen Rosenstrauß hoch, viele dunkelrote Baccara, und legte ihn hinüber, neben den Stein, der seinen, den Namen Jossa trug.
Ein älterer, langmähnig-grauer Mann kam auf ihn zu, deutlich Brammer Boheme.
«Ist Ihnen schlecht geworden, kann ich Ihnen vielleicht…? Was machen Sie denn da?»
«Ich lege Rosen auf mein Grab.»
Jetzt erkannte er den anderen. Das war doch Truper,
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