Ich lege Rosen auf mein Grab
0:2.
Laß es!
Er erinnerte sich an ein gewesenes Spiel der Eintracht aus Frankfurt, bei dem es ihr gelungen war, einen 0:3-Rückstand noch in einen 4:3-Triumph zu verwandeln.
Fährgasse Ecke Packhofstraße, sein altes Domizil.
Mit einem Flimmern vor den Augen, Schlieren zogen vorbei, als hätte er zu lange zum sonnenhellen Himmel hochgeschaut, unsicher blinzelnd beugte er sich zu den sauber aufgereihten Mieternamen hinunter, neben jedem Klingelknopf ein Plastikschildchen, weiß in grün gestanzt, wußte noch genau, wo sein J.-O. Jossa mal gestanden hatte.
Menkens, Thor, Piorkowski, Fischer, Tiefensee, Viehrig, Brocki, Schattan, Quade, Ratzlaff, Ukena, Drews, Grischow, Wulfken, Schönfisch…
…und da: JOSSA…!
Nein: Tröltsch stand da, Dr. Tröltsch.
0:3.
Es wäre ja auch höchst unlogisch gewesen, dußlig von Mugalle, hier auszuharren, bis der echte Jossa wiederkam.
Er war ebenso erleichtert wie enttäuscht. Zwar konnte er Mugalle damit im ersten Zugriff nicht fassen, andererseits aber war das Maß seiner Bedrohung nun doch nicht so groß wie eben noch befürchtet.
Hatte er Mugalle vorhin auf der Brücke noch als einen Mann gesehen, der mit gezücktem Revolver auf ihn zustürzen wollte, so erlebte er ihn nun als eine ungewiß-diffuse Drohung, einem strahlenden Reaktor gleich.
Jossa machte sich auf, zum Marktplatz zu gehen und sein Glück an einer Stelle zu versuchen, wo die Chancen sicher besser standen: beim Brammer Tageblatt. Ganz fest war ja trotz der früheren Enttäuschung mit Heike Hunholz zu rechnen. Damals am Telefon, nun ja, der Tod ihrer Mutter, aber jetzt von face to face, da mußte es ganz anders laufen.
Er bog in die Knochenhauergasse ein, kam am Luperti-Stift vorbei, dann auch an der «Stadtwaage», jenem Hotel, in dem er die ersten Nächte in Bramme zugebracht hatte, damals, schließlich noch dem Bankhaus Buth, wo er sein Konto…
Er? Immer wieder mußte er sich klarmachen, daß er im Augen blick für alle Welt Mugalle war, Martin Mugalle, daß er in Sekunden die Polizei und x Behörden hinter sich und am Hals hatte, wenn er jetzt den Schalterraum betrat und vom Jossa-Konto Geld abheben wollte.
Die Polizei… Wenn man an den Teufel dachte… Gerade sah er Catzoa am m.a.v. vorbeischlendern, wohl noch immer dabei, im Bistro drüben Terroristen zu wittern.
Jossa hatte wenig Lust, von Catzoa prüfend angeschaut zu werden und verschwand lieber in der Zoohandlung, deren Hamstern er eben zugeschaut hatte, fragte nach einem «Shimbumki oder so», einem Fisch, den seine Freundin sich wünsche («Sieben Mark»), dankte und trat wieder auf die Straße hinaus.
Catzoa war inzwischen Richtung Wall verschwunden, und Jossa schaffte die restlichen hundertfünfzig Meter zum Markt, ohne irgendwie beachtet zu werden.
Da stand er dann am Harm-Clüver-Brunnen und kühlte sich die Hände, hatte sich diese quasi rituelle Handlung hundertfach in seiner Zelle ausgemalt, vollzog sie jetzt im Trancezustand, hatte sein Bewußtsein derart abgesenkt, daß er sich am liebsten auf die nächste freie Bank gelegt, wohlig hingestreckt hätte, tat das auch, als er sie erreicht hatte, wenn auch nicht in seiner ganzen Länge, sondern nur halb sitzend und halb liegend.
Herrlich, wie die Sonne auf die Haut brannte, wie an der See, im Strandkorb, in den Dünen.
Er duselte ein, wurde nicht gestört, sah ja auch im Maßanzug, schwarz mit weißen Nadelstreifen, in seinen teueren Schuhen, wahrlich nicht nach Penner aus, brauchte nicht verjagt zu werden, durfte es nicht mal, denn höchstwahrscheinlich, sagten sich die Leute, dachten sich die KOBs, die Brammer Gendarmen, war das ein Banker, der ihnen allen Arbeitsplätze brachte und nur mal eben in der Hitze; zuviel Champagner eben…
Als die Straßenbahn hinten an der Großen Tränke in den engen Kurven kreischte, schreckte er hoch, brauchte er Sekunden, sich wieder zu besinnen.
Bramme, Marktplatz, nicht JVA, Zelle eins-zwei-vier.
Er gab sich einen Ruck, stand auf, reckte sich und brachte seine Kleidung mit ein paar Griffen in eine wieder vorzeigbare Ordnung, steuerte dem Brammer Tageblatt entgegen.
Hier bin ich, Jens-Otto Jossa, und wenn ihr schön lieb zu mir seid, kriegt ihr meine Story exklusiv.
Auf Heike Hunholz war nicht lange zu warten; sie kam gerade aus der Tür («Schicksalsmelodie…!», so sein Gedanke) und hielt auf ihn zu, schien nichts anderes zu wollen, als ihn herzlich willkommen zu heißen, ihn kollegial, vielleicht auch zärtlich in die Arme zu nehmen.
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