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Ich mach mir Sorgen, Mama

Titel: Ich mach mir Sorgen, Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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technischen Geräte vor der ersten Nutzung erst einmal gründlich gewaschen, einige sogar mehrmals – zur Sicherheit. Ob man daran glaubte oder nicht, sie hielten dann ewig, niemals ging im Haushalt etwas kaputt. Nur einmal hat mein Vater sein Fahrrad demoliert. Er fuhr zu seinem Arbeitskollegen, weil eine frisch gekaufte Schrankwand dringend gewaschen werden musste. Auf dem Rückweg fuhr er hinter einem Linienbus her; in dessen Schatten fühlte er sich sicher. Nur hatte er nicht bedacht, dass der Bus immer wieder anhielt. Sie fuhren bergab, ziemlich schnell; bei der Bushaltestelle unten bremste der Busfahrer, ohne meinen Vater vorher zu benachrichtigen. Der flog gegen den Bus; das Fahrrad war nicht mehr reparaturfähig. Mein Vater bekam daraufhin vier neue Zähne verpasst, die sofort gewaschen wurden und trotz aller gegenläufiger Bemühungen deutscher Zahnärzte immer noch fest in seinem Mund hafteten.
    In Deutschland hatte mein Vater zunächst Probleme, immer einen wichtigen Grund zum Trinken zu finden. Vor zwei Jahren las er mit Interesse in einer Zeitung über die Initiative »Saufen gegen Rechts«, musste aber feststellen, dass es sich dabei bloß um eine Spendenaktion für die Opfer rechter Gewalt handelte. Seine eigenen klein angelegten Aktionen wie zum Beispiel »Saufen für bessere Integration« oder »Saufen zur Vermittlung der Muttersprache an die Einheimischen« hatten wenig Erfolg. Die meisten kippten hierzulande einfach grundlos ihre Biere in sich hinein. Sie wollten keine Mission daraus machen, und wenn sie zu viel tranken, dann wurden sie entweder sentimental oder aggressiv. Deswegen hat mein Vater nun gänzlich mit dem Trinken aufgehört.

Die Kinder der Nacht
    Das McDonald’s gegenüber von meinem Haus ist zur Stammkneipe einer merkwürdigen Clique geworden. Einige Männer und Frauen sitzen dort oft bis tief in die Nacht, sie besprechen ihre Probleme bei einem Becher Cola und rauchen die Bude voll. Manchmal passieren dort auch Dramen: Frauen machen ihren Männern eine Szene oder umgekehrt. Warum haben diese Leute ausgerechnet das eklige McDonald’s zu ihrer Stammkneipe gemacht?, fragte ich mich jedes Mal im Vorbeigehen, bis mir eines Tages klar wurde, dass diese so genannten Männer und Frauen Kinder waren und in keine andere Kneipe hereingelassen wurden.
    Man verliert heute oft das Gefühl für das Alter der anderen. Alles zwischen sieben und siebenundsiebzig ist verschwommen. Die Jungen wachsen manchmal wie die Hunde und sind mit zwölf bereits größer als ihre Eltern. Selbst bei den kleinen Buckeligen mit den großen Ranzen auf dem Rücken wird man manchmal unsicher, ob das wirklich Schulkinder sind oder nur Hobbits auf Berlin-Erkundungstour, so ernsthaft sehen sie aus. Die Älteren dagegen altern nicht mehr richtig. Statt mit einer Krücke durch die Gegend zu laufen, kaufen sie bei H&M ein, weil das billig und cool ist.
    Die Experten streiten, ob genmanipuliertes Gemüse, hormongespritztes Fleisch oder gekürzte Arbeitszeiten daran schuld sind, dass sich die Altersgrenzen verschieben. Auf jeden Fall sind die Folgen davon nicht zu übersehen. Große Kinder wollen nicht gleich nach dem Sandmännchen ins Bett gehen, sie wollen Action und landen im McDonald’s zwischen Cola-Bechern und Luftballons. Von da aus wachen diese großen Kinder über die Nacht. Sie warten, bis sie achtzehn werden und die Stadt endlich übernehmen dürfen.
    In meiner Kindheit gab es noch kein genmanipuliertes Gemüse. Wir waren auch nicht so groß – eher zu klein und niedlich. Unser Sandmännchen hieß Gute Nacht, ihr Kleinen und war um zwanzig Uhr dreißig zu Ende. Mein Vater hat diese Sendung gern geguckt, und oft schlief er ein, noch bevor die Geschichte zu Ende war. Ich dagegen blieb ihr fern.
    »Schlafen kannst du, wenn du tot bist«, lautete die Parole unserer Kindheit. Statt bei McDonald’s versammelte sich unsere Clique neben dem Denkmal der Verteidiger der Festung Brest, in der Nähe des Kinos »Brest«. Die größten unter uns wurden ins Kino geschickt, um dort Bier und Zigaretten zu kaufen. Genau genommen gab es zwei Gruppen unter dem Denkmal: die Beatles-Fans und die Moped-Freaks. Beide Cliquen waren gleichermaßen von Lebensfreude und Aggressivität durchdrungen. Bei den Beatles-Fans habe ich mir zum ersten Mal ein blaues Auge geholt, als ich mich in eine sinnlose Diskussion darüber einmischte, ob John Lennon oder Paul McCartney den Song »All you need is love« geschrieben hatte. Mein kluger Ratschlag

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