Die Nachtmahr Wunschträume
Kapitel 1
Ich hatte einen Albtraum. Einen grässlichen, unrealistischen. Trotzdem schlief mein Körper ungerührt weiter und es dauerte eine ganze Weile, bis mein Bewusstsein wach genug war, um das Geschehen als das zu entlarven, was er war: Nicht real. Schließlich hatte ich seit über einem Jahr keine Übung mehr im schlecht-träumen. Genauer gesagt, seit ich selbst Königin der Albträume war. Und das war nicht als Metapher gemeint.
Genau bei diesem Gedanken schreckte mich mein Bewusstsein auf und meinen Körper hoch. Im selben Moment vergaß ich, was ich eben noch gedacht und geträumt hatte. Dafür schlug mir mein Herz bis zum Halse und mein Puls raste. Obwohl ich sofort meine Augen öffnete, war keine Spur von einem Alb zu sehen. Trotzdem blickte ich prüfend nach links und rechts und sogar unter das Bett. Nichts. Ich setzte mich auf. Einen Moment lang genoss ich die Ruhe und die Dunkelheit, die inzwischen zu meinem eigenen Wesen gehörte. Für gewöhnlich eine Verbündete, hatte mich heute meine eigene Fähigkeit zur Fantasie hintergangen. Ich verzog die Lippen zu einem bösen Lächeln, das gleichzeitig auf andere abschreckend, wie für mich selbst aufheiternd wirken sollte. Letztendlich hatte ich gewusst, dass meine schlimmen Träume eines Tages zurückkommen würden. Und dass man als Albtraum nicht vor den eigenen Artgenossen gefeit war, war auch kein Geheimnis – aber man sollte doch meinen, als Königin hätte ich zumindest dieses eine, klitzekleine Privileg verdient.
Ich starrte in die Finsternis, unberührt und nachtschön, und verfluchte im Stillen den Alb, den Traum und weil ich gerade so richtig schön wütend war, auch gleich die gesamte Situation dazu. Es half nichts. Ich war wach und würde es auch bleiben. Vermutlich würde ich es nach diesem Adrenalinstoß nicht einmal mehr schaffen, in dieser Nacht Ruhe zu finden. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es drei Uhr war. Genervt setzte ich mich auf und schwang die Beine über die Bettkante. Halb hoffte ich darauf, dass doch etwas unter meinem Bett lauerte – ein Bogeymann oder ein anderes unheimliches Wesen – und dumm genug war, nach meinen Füßen zu grabschen. Aber manche Dinge sprachen sich anscheinend selbst unter Gruselgestalten und Schreckgespenstern herum. In diesem Falle meine nahezu permanent schlechte Laune. Schade eigentlich.
Ohne das Licht anzuschalten nahm ich mein Traumtagebuch von der Nachtkonsole und öffnete es. Doch meine Erinnerung blieb stumm. Immer noch war der Traum wie hinter Schleiern verborgen, unfassbar, nur die Reminiszenzen der freigelegten Gefühle greifbar. Absolute Panik gepaart mit kompletter Hilflosigkeit. Angespannt ging ich die üblichen Verdächtigen durch: meinen Großvater und seine schattigen Schreckgespenster, die mich als Kind malträtiert hatten; die gruseligen Schatten, die alle als Einbildung abgetan hatten, statt mich in meine Herkunft – halb Nachtmahr, halb Tagmahr – einzuweihen; den Brand und den Flammentod meiner Eltern. Die Erpressung durch meinen Lieblingsfeind Jonah und mein Beinahe-Ertrinken, weil er mich an einem wirklich ungünstigen Ort eingesperrt hatte … nichts davon löste eine aktuelle Erinnerung aus. Nicht einmal, als ich an das Internat »Saint Blocks« dachte, auf das ich abgeschoben worden war, weil mir mein Onkel und meine Tante die Geschichte mit der Erpressung und dem Beinahe-Ertrinken nicht geglaubt hatten. Nur meine Brandnarben, die sich von der linken Hand nach oben bis zur Schulter hinaufzogen, begannen unangenehm zu ziehen.
Ich schloss die Augen, atmete bewusst und tief ein und konzentrierte mich. Sofort intensivierte sich das Gefühl der Hilflosigkeit in meinem Inneren. Die Panik war wieder da, die Angst und das Wissen, ausgeliefert zu sein, machtlos. Beinahe gleichzeitig war ich wieder in dem Traum. Sand fiel von oben auf mich herab, immer mehr, unaufhaltsam. Er wurde höher, prasselte um mich herum und erschwerte mein Atmen. Bald würde er mich völlig bedecken und ersticken.
Ich öffnete abermals die Augen und nur die Emotionen blieben. Ein Alb der Kategorie »Warntraum«. Die Verbindung zu meinem Leben und den Tatsachen, die ich bisher erfolgreich verdrängt hatte, waren eindeutig. Ich dachte an meinen Ex-Freund, und tatsächlich … das Gefühl des Erstickens wurde intensiver. Bald war sein achtzehnter Geburtstag. Anders als bei gewöhnlichen Sterblichen, war das bei meinem Stiefbruder nicht nur der Tag an dem er volljährig werden würde, nein, es war
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