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Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition)

Titel: Ich schlage vor, dass wir uns küssen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rayk Wieland
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bugsierte mich durch das Labyrinth der Tausend Türen wieder nach draußen, etliche von ihnen, wie mich dünkte, akzentuierter schließend als auf dem Hinweg.

    Bert sah ich nie wieder. Keine Ahnung, ob er nach Nordkorea abgeschoben wurde oder nur nach Westberlin. Seine Geschichte kursierte im Freundeskreis als Beispiel für die absurde Poesie der Verzweiflung, als Nordkorea-Paradox. Ein paar Monate danach klappte die DDR wie ein falsch montiertes Chemieklo aus Versehen zusammen und kam zu den Akten. Ich vergaß die Stasi, ich vergaß diese Episode, und ich vergaß sogar die »Mögliche Exekution des Konjunktivs«, bis mir eines Tages beim Sortieren von Papieren mein grüner DDR -Sozialversicherungsausweis in die Hand fiel. Ich blätterte darin herum wie in einem Fotoalbum und besah die fremden Stempel meines fremden Lebens: »Edwin-Hoernle-Oberschule«, »Betriebspoliklinik Oberspree«, »VEB Werk für Fernsehelektronik«, »BSG Turbine Gaswerke«, »NVA Eggesin«, LPG »Hans Beimler«, »Humboldt-Universität zu Berlin«. Ganz normale Stationen einer DDR-Karriere, alles korrekt, alles normal. Ich stutzte nur, als mein Blick an einem Stempel der Volksrepublik Nordkorea hängenblieb … wo ich … meines Wissens … nie gewesen war.
    Was hatte der in meinem Ausweis zu suchen?
    Wann sollte ich in Nordkorea gewesen sein?
    Einen Moment lang – in dem ich mein Gedächtnis nach verschütteten nordkoreanischen Erinnerungssplittern absuchte und nicht mehr wußte, wer ich war und was ich tat – hielt ich alles für möglich. Daß ich in Wahrheit derjenige gewesen war, der diesen Republikflucht-Plan gehabt hatte. Daß meinSozialversicherungsausweis von der Staatssicherheit manipuliert worden war. Daß ich es verdrängt haben musste. Daß ich in einem falschen Körper wohnte. Daß das Leben nur Trug ist, eine Erinnerungslücke, ein Schattenspiel – oder ein Lesefehler.
    »Volkseigener Betrieb Nordkeramik« las ich im vierten Anlauf. Genau, da gab’s mal einen Produktionseinsatz. Es hatte alles seine Richtigkeit. Die Welt war wieder in Ordnung.
    Doch wer weiß: Mich hätten die Grenzer in Wladiwostok vielleicht passieren lassen.

2
    D AS S CHICKSAL MUSS NICHT IMMER wie im zweiten Akt von »Macbeth« an ein hohes schottisches Burgtor wummern, es kann auch ganz ordinär mit der Post kommen. Ich hätte den Brief in dem lichtlosen, vermüllten Abgrund des Kastens hinter den Angebotszetteln der Baumarktketten mit ihren ewigen Motorsägenpreistiefstands-Annoncen fast übersehen. Eine Einladung, nicht handgeschöpft, auch nicht handgeschrieben, sicher aber handgefaltet. »Sehr geehrter Herr W.«, las ich, »es ist uns ein Bedürfnis und eine Freude, Sie als Gast zu unserem Symposium ›Dichter. Dramen. Diktatur. Nebenwirkungen und Risiken der Untergrundliteratur in der DDR ‹ einzuladen. 20 Jahre nach der Wende ist der Zeitpunkt gekommen, der verfolgten und unterdrückten Literatur in der ehemaligen DDR eine Stimme zu geben. Gerade Ihr Werk bezeugt in exemplarischer Weise, welchen Widrigkeiten junge und kritische Literatur im Realsozialismus ausgesetzt war. Heute sind die Schikanen und Repressionen, unter denen Sie gelitten haben, Geschichte und vielenorts vergessen. Dagegen wollen wir Zeichen setzen, und zwar mit unserer Veranstaltung ›Dichter. Dramen. Diktatur‹ am 8. November 2009 im ›Demokratischen Haus‹. Sie, sehr geehrter Herr W., würden uns eine große Freude bereiten, wenn Sie die Einladung zu einer Lesung mit anschließender Podiumsdiskussion annehmen und wir Sie als Gast auf unserem Symposium begrüßen könnten. Mit freundlichen Grüßen, Anika Schneider / V.U.U.D. / Verein der unbekannten Untergrunddichter Deutschlands«
    Guter Scherz oder schlechter Scherz – das war hier die Frage.Ich las den Brief mehrmals, erst lachend, dann prüfend, schließlich einigermaßen betroffen. »Schikanen und Repressionen«? Ich hatte keinen Schimmer. »Lesung«? »Anschließende Podiumsdiskussion?« Vielleicht noch mit Autogrammstunde? Was konnte das sein? Was sollte das werden?
    Als Schriftsteller war ich bisher nicht auffällig geworden, auch nicht als unterdrückter. In der DDR? Du meine Güte.
    Mag sein, es war, möglicherweise, etwas zuviel Alkohol gewesen in letzter Zeit. Nicht ausgeschlossen, daß ich im Suff von mir als dem großen Undercover-Poeten der DDR schwadroniert hatte. Dem das berühmte Denkmal des unbekannten Untergrunddichters gewidmet ist oder schleunigst gewidmet sein sollte. Dem Verfolgten und

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