Ich und andere uncoole Dinge in New York
kleinere Bild an der Wand daneben. Dort hängt noch jemand nackt. Und zwar Regine selbst. Gleiche Pose, ziemlich ähnlicher Hintergrund. Allerdings muss man sagen – so hoch oben hat ihr Busen noch nicht mal gestanden, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Und das ist schon eine Weile her. Aber vielleicht hat sie da inzwischen nachgeholfen. Daneben hängt Dave. Gleiche Pose und wesentlich zu detailgenau gemalt. Ich sehe erheblich mehr von ihm, als ich jemals sehen wollte. Ich hätte sogar prima mein ganzes Leben verbringen können, ohne dieses Bild zu sehen, und hätte definitiv nicht das Gefühl, etwas verpasst zu werden. Ach du Scheiße. Ich blicke in ihre lächelnden Gesichter. Regine ist sich keinerlei Schuld bewusst. Es ist hoffungslos. Wenn ich mich jetzt aufrege, bin ich der verklemmte Spießer und sie die Künstlerin. Schließlich hängt sie ja selber da.
„Ach“, sage ich deshalb nur und da meine Mutter sowieso von neu hereinströmenden Besuchern belagert wird, nutze ich den Moment, um mich zu ducken und aus der Galerie zu fliehen. Ben kommt hinter mir her.
„Hey, Judith, jetzt lach doch mal. Du musst es mit Humor nehmen.“
„Ich habe keinen mehr. Ich glaube, ich muss mal einen Moment allein sein.“
„Soll ich dich zum Strand bringen?“
„Das wäre toll. Aber ich möchte glaube ich allein sein.“ Ich schenke ihm ein Lächeln, das ich nur mit Mühe zusammenkriege.
Ben versucht, auf der Fahrt nicht mit mir zu reden, und ich bin ihm dafür dankbar. Dann hält er auf einem staubigen Parkplatz.
„Hier ist es super. Und nicht so voll. Und du kannst sogar zu Fuß zum Haus zurückkommen. Vergiss nicht, dass nachher die Eröffnungsparty bei Dave im Garten stattfindet.“
„Alles voller Leute, die mich nackt gesehen habe.“
„Mensch, Judith, jetzt mach mal einen Punkt. Wenn du nackt so aussiehst wie auf dem Bild, könnte aus uns vielleicht doch noch mal was werden. Brauchst dich nicht zu schämen.“
„Ben!“, kreische ich.
„Ist doch wahr. Außerdem bringe ich zur Party eine Überraschung mit.“
„Ich glaube, ich habe für heute genug Überraschungen erlebt.“
Ben grinst, aber seine Gedanken wirken schon entfernt. Er hakt jeden Moment ab wie auf einer Aufgabenliste. Ben ist es einfach nicht gewohnt, mit seinen Gedanken in der Gegenwart zu verweilen. Er spult ständig nach vorn. Mit lautem Motorengeräusch wendet er den Wagen. Er ist mir inzwischen so vertraut. Ich werde ihn vermissen. Ich winke dem Porsche hinterher und er hebt nachlässig die Hand. Ben eben.
Dann folge ich dem Pfad aus Holzlatten, der durch die Düne führt. Verblichenes Gras lehnt sich dem Wind entgegen. Die Düne ist schmal und der Pfad nicht lang und mündet im Sand. In einladender Breite zieht sich der Strand einige Kilometer an der Küste entlang, bis graue Felsen die Sicht versperren. Dafür, dass Hochsaison ist, sind wirklich nicht viele Menschen da. Die meisten haben bunte Handtücher ausgebreitet, aber ein wenig entfernt steht ein Strandkorb wie auf einer Nordseeinsel. Und doch – keinerlei Zweifel, vor mir erstreckt sich keine Nord- oder Ostsee. Dies ist kein Meer, das alle paar Kilometer an irgendein Land stößt. Viel zu behäbig schlagen die Wellen des Atlantiks auf den matten Sand.
Ich streife meine Schuhe ab und grabe meine Füße in den Sand. Weiter draußen im Wasser erkenne ich ein paar Surfer. Ihre Köpfe treiben neben den Surfbrettern im Wasser, dann hieven sich zwei Gestalten empor, glänzend wie schwarze Oliven, und setzen sich auf die Bretter. Sie warten auf eine Welle, die groß genug ist, um sie bis zum Strand zu tragen. Ich lege mich flach nach hinten, falte meine Hände auf dem Bauch und schließe die Augen. Als ich meine Augen wieder öffne, steht die Sonne schräg genug, dass ich ohne zu blinzeln in den Himmel blicken kann. Vielleicht bin ich eingeschlafen. Eine faserige Wolke verdeckt einen Teil der Sonne, dann schiebt ein Gesicht den Himmel zur Seite, und ich zucke unter den kalten Wassertropfen zusammen, die von den nassen Haaren auf mich herunterfallen.
„Judith?“
Ich richte mich schnell auf und blinzele in das Gesicht. „Hey.“
Adams Locken hängen nass in sein Gesicht. Unter dem schwarzen Neopren zeichnet sich jede Körperform genau ab. Er sieht gut aus. Ich sehe schnell zur Seite. Ich muss aufpassen, nicht zu zittern. Neben ihm taucht ein anderer Surfer auf.
„Komm, lass uns schwimmen gehen“, sagt der andere. „Willst du mir das hübsche Mädchen vielleicht mal
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