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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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die Witwe einen Teller nach mir geworfen hatte, einfach so, in ihrem Wohnzimmer, sie hatte mich an der Schulter getroffen, und es hatte ziemlich weh getan. Ehefrauen, erklärte ich, seien überhaupt der Alptraum jedes Biographen, und einer der Gründe, warum diese neue Arbeit für mich so erfreulich sei, sei eben die Abwesenheit ... Aber man würde mich schon verstehen!
    Kaminski machte eine Handbewegung, wie auf Befehl standen alle auf. Wir traten auf die Terrasse. Die Sonne sank in den Horizont, die Berghänge traten dunkelrot hervor. »Amazing!« sagte Mrs. Clure, ihr Mann strich ihr sanft über die Schulter. Ich trank mein Weinglas aus und sah mich nach jemandem um, der nachschenken würde. Ich fühlte mich angenehm müde. Ich hätte jetzt heimgehen und noch einmal die Tonbänder mit den Gesprächen der letzten zwei Wochen anhören müssen. Aber ich hatte keine Lust. Vielleicht würden sie mich ja doch einladen, hier oben zu übernachten. Ich stellte mich neben Miriam und sog die Luft ein. »Chanel?«
    »Wie bitte?«
    »Ihr Parfüm.«
    »Wie? Nein.« Sie schüttelte den Kopf und trat von mir weg. »Nein!«
    »Sie sollten gehen, solange Sie noch Licht haben«, sagte Bogovic.
    »Ich komme schon zurecht.«
    »Sie finden sonst nicht zurück!«
    »Wissen Sie das aus Erfahrung?«
    Bogovic grinste. »Ich bin nie zu Fuß unterwegs.«
    »Die Straße ist nicht beleuchtet«, sagte der Bankier.
    »Jemand könnte mich mit dem Auto mitnehmen«, schlug ich vor.
    Ein paar Sekunden war es still.
    »Die Straße ist nicht beleuchtet«, wiederholte der Bankier.
    »Er hat recht«, sagte Kaminski heiser. »Sie sollten hinunter.«
    »It's much safer«, sagte Clure.
    Ich hielt mein Glas fester und blickte von einem zum anderen. Zwischen ihren Silhouetten spielte das Abendrot. Ich räusperte mich, jetzt war der Moment, da jemand mich auffordern mußte, zu bleiben. Ich räusperte mich noch einmal. »Also dann... mache ich mich auf den Weg.«
    »Folgen Sie der Straße«, sagte Miriam. »Nach einem Kilometer kommt ein Wegweiser, dort biegen Sie links ab, in zwanzig Minuten sind Sie da.«
    Ich warf ihr einen wütenden Blick zu, stellte das Glas auf den Boden, knöpfte mein Jackett zu und ging los. Nach ein paar Schritten hörte ich sie alle hinter mir auflachen. Ich horchte, aber ich konnte schon nichts mehr verstehen; der Wind trug mir nur einzelne Wortfetzen zu. Mir war kalt. Ich ging schneller. Ich war froh, wegzukommen. Ekelhafte Speichellecker, widerlich, wie sie sich anbiederten! Der alte Mann tat mir leid.
    Es wurde wirklich sehr rasch dunkel. Ich mußte die Augen zusammenkneifen, um den Lauf der Straße auszumachen; ich spürte Gras unter mir, blieb stehen, tastete mich vorsichtig zurück auf den Asphalt. Im Tal waren schon deutlich die Lichtpunkte der Laternen zu sehen. Dort war der Wegweiser, schon nicht mehr lesbar, da der Pfad, auf dem ich hinuntermußte.
    Ich rutschte aus und schlug der Länge nach hin. Vor Wut packte ich einen Stein und schleuderte ihn in die Schwärze des Tals. Ich rieb mir das Knie und stellte mir vor, wie er fiel und andere Steine mitnahm, mehr davon und mehr, bis schließlich ein Hangrutsch irgendwo einen arglosen Spaziergänger begrub. Der Gedanke gefiel mir, und ich warf noch einen Stein. Ich war unsicher, ob ich noch auf dem Weg war, unter mir löste sich Schotter, fast wäre ich wieder gefallen. Mir war kalt. Ich bückte mich, befühlte den Boden, spürte die hartgetretene Erde des Weges. Sollte ich mich einfach hinsetzen und auf den Tagesanbruch warten? Ich würde vielleicht erfrieren und mich noch vorher zu Tode langweilen, aber immerhin würde ich nicht abstürzen.
    Nein, das kam nicht in Frage! Blind setzte ich einen Fuß vor den anderen, schob mich in winzigen Schritten vorwärts, hielt mich an Büschen fest. Gerade als ich überlegte, um Hilfe zu rufen, formten sich die Konturen einer Hausmauer und eines flachen, steingedeckten Daches. Und dann sah ich Fenster, Licht schimmerte durch zugezogene Vorhänge, ich war auf einer erleuchteten Straße. Ich bog um die Ecke und stand auf dem Dorfplatz. Zwei Männer in Lederjacken sahen mich neugierig an, auf dem Balkon eines Hotels drückte eine Frau mit Lockenwicklern einen winselnden Pudel an sich.
    Ich stieß die Tür der Pension Schönblick auf und sah mich nach der Wirtin um, aber sie war nicht zu sehen, die Rezeption leer. Ich nahm meinen Schlüssel und ging die Treppe hinauf in mein Zimmer. Neben dem Bett stand mein Koffer, an den Wänden hingen

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