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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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zerknitterte Stoff umflatterte ihn. Ich stützte ihn, vorsichtig ließ er sich nieder. Er zog die Beine an und legte den Stock neben sich. »Kaum zu glauben. Da wäre ich fast gestorben, ohne hiergewesen zu sein.«
    »Sie sterben noch lange nicht.«
    »Unsinn!« Er legte den Kopf in den Nacken, der Wind zerrte an seinen Haaren, eine hohe Welle schleuderte uns einen Schauer entgegen. »Ich sterbe bald.«
    »Ich muß...« Es fiel mir schwer, den Lärm der Brandung zu übertönen. »...noch einmal zurück. Meine Koffer holen.«
    »Haben Sie darin etwas, das Sie brauchen?«
    Ich überlegte. Hemden, Hosen, Unterwäsche und Socken, Fotokopien meiner Artikel, Schreibzeug und Papier, ein paar Bücher. »Ich habe nichts.«
    »Dann werfen Sie es weg.«
    Ich starrte in seine Brillengläser. Er nickte.
    Ich zog meine Tasche an mich und ging langsam auf den Steg zu. Ich trat darauf, das Holz knarrte unter mir, und ging bis ans Ende.
    Ich holte das Diktaphon hervor. Ich betrachtete es, drehte es zwischen den Fingern, schaltete es ein und wieder aus. Dann schleuderte ich es weg. Es stieg auf, ein glänzender Fleck, schien einen Moment stehenzubleiben und noch einmal um ein weniges zu steigen. Dann sank es und verschwand im Wasser. Ich rieb mir die Augen. Meine Lippen schmeckten salzig. Ich öffnete die Tasche.
    Ich warf die erste Tonbandkassette, aber sie flog nicht weit, sie war wohl zu leicht. Bei der nächsten gab ich mir weniger Mühe, die übernächste ließ ich bloß fallen, beugte mich vor und sah zu, wie sie noch ein paar Sekunden schwamm, von einer Welle gehoben, von einer anderen überspült wurde, sank. Einige schwammen länger. Eine wurde weit in die Richtung des Strandes getrieben; fast wäre sie dort angekommen, aber dann faßte eine Welle nach ihr, und sie war verschwunden.
    Ich atmete tief ein. In der Ferne bewegte sich ein Schiff, ich erkannte die Deckaufbauten, den langen Arm eines Krans, die wirbelnden Flecken des Möwenschwarms, der ihm folgte. Ich holte den Notizblock hervor.
    Ich blätterte darin. Seite um Seite, eng beschrieben in meiner krakeligen Schrift; dazwischen Dutzende Fotokopien aus Büchern und alten Zeitungen, immer wieder die rot unterstrichenen Buchstaben M.K. Ich riß die erste Seite heraus, zerknüllte sie und ließ sie fallen. Riß die zweite heraus, zerknüllte sie und ließ sie fallen, riß die nächste heraus. Nach kurzem war das Meer um mich bedeckt von weißen Bällen. Der Junge hatte den Drachen eingeholt und beobachtete mich.
    In meiner Brusttasche fand ich noch ein Stück Papier: ein Gewirr von Linien, zwischen denen sich, nun sah ich es deutlich, eine Menschengestalt abzeichnete. Ich steckte das Blatt wieder ein. Ich zog es hervor, sah es an und steckte es ein.
    Ich zog es hervor und ließ es fallen, die Wellen verschluckten es sofort. Der Junge nahm den Drachen unter den Arm und ging davon. Der Frachter stieß einen dumpfen Laut aus, eine kleine Rauchsäule stieg auf, verformte sich im Wind, verblaßte. Feuchtigkeit drang durch meine Kleidung, allmählich wurde mir kalt.
    Ich ging zurück ans Ufer. Der Spaniel war näher gekommen. Ob jemand nach ihm suchte? Die Tasche hing leicht an meiner Schulter, es war nur noch die Kamera darin.
    Die Kamera?
    Ich blieb stehen, holte sie hervor und wog sie in der Hand. Die ganze Serie seiner letzten Gemälde. Ich legte den Daumen auf den Knopf, der die Rückklappe öffnen und den Film belichten würde.
    Ich zögerte.
    Mein Daumen zog sich, wie von selbst, von dem Knopf zurück. Langsam steckte ich den Apparat ein. Morgen war auch noch ein Tag; und genug Zeit, um nachzudenken. Ich ging zu Kaminski und setzte mich neben ihn.
    Er streckte die Hand aus. »Der Schlüssel!«
    Ich gab ihm den Autoschlüssel. »Sagen Sie ihr, daß es mir leid tut.«
    »Wem von den zweien?«
    »Beiden.«
    »Was werden Sie jetzt tun?« fragte er.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Gut!«
    Plötzlich mußte ich lachen. Ich berührte ihn an der Schulter, er hob den Kopf, für einen Moment legte seine Hand sich auf meine. »Viel Glück, Sebastian.«
    »Ihnen auch.«
    Er nahm die Brille ab und legte sie neben sich. »Und jedem auf der Welt.«
    Ich stand auf und ging langsam rückwärts, gegen den knirschenden Widerstand des Sandes. Kaminski streckte die Hand aus, der Hund trottete zu ihm und schnüffelte daran. Ich wandte mich ab. So viele Entscheidungen. Der Himmel war niedrig und weit, allmählich löschten die Wellen meine Spuren aus. Die Flut kam.

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