Wikinger meiner Traeume - Roman
1
Am Rand der Welt breitet sich feuriger Glanz aus, vertreibt die milde Nacht und setzt den Himmel in Flammen. Dragon heißt dieses Licht willkommen. Lautlos geht er über das weiche Erdreich und verscheucht einen Hirsch, der unbeachtet im Gebüsch verschwindet. An diesem Morgen ist der furchtlose Wikingerkrieger Dragon Hakonson nicht in den Wald geritten, um zu jagen. Stattdessen sucht er die Stille zwischen den Kiefern an der Meeresküste aus einem anderen Grund.
Bevor er einen Schritt unternehmen muss, den er nicht länger hinauszögern kann, will er in Ruhe nachdenken. Deshalb hat er seine Begleiter vorausgeschickt.
Aber seine Einsamkeit wird gestört. Aus dem schützenden Schatten der Bäume beobachten ihn goldbraune Augen. Eine schlanke, geschmeidige Gestalt wagt kaum zu atmen. Langsam, ganz langsam versucht sie davonzukriechen. Ein Zweig knackt, und Dragons Sinne, in einem Leben voller Kämpfe und Gefahren geschult, warnen ihn sofort. Entschlossen stürmt er ins Unterholz, zerrt den Flüchtling hervor, der sich verzweifelt wehrt, und betrachtet ihn forschend.
Wie schnell sich der Fremde bewegte... Rycca starrte ihn verblüfft an. Eben hatte sie noch im kühlen Moos gekniet, nach ein paar Stunden rastlosem Schlaf, und den Mann beobachtet, der plötzlich aufgetaucht war. Und im nächsten Augenblick wurde sie so fest umklammert, dass sie kaum atmen konnte. Ihre Arme und Rippen schmerzten. Wenn er
den Druck nur ein klein wenig verstärkte, würde sie womöglich genauso zerbrechen wie jener verräterische Zweig.
Wer der Mann war, wusste sie nicht, und es interessierte sie auch nicht. Nur eins zählte – sie musste sich von seinem Griff befreien. Als Opfer ihrer ungehobelten Brüder aufgewachsen, war sie in harten Kämpfen erprobt. Und so biss sie in den starken Arm, der sie umschlang. Nach ihren Erfahrungen zwang ein solcher Gegenangriff die meisten Schurken sofort, den Griff zu lockern.
Aber da erwartete sie eine neue Überraschung, und ihre Angst wuchs. Der Mann stöhnte nicht einmal, umfing sie noch fester und schnürte ihr die Atemluft endgültig ab.
So lange sie es vermochte, grub sie ihre Zähne in seinen Arm – bis bunte Lichter vor ihren Augen tanzten, bis ihre Sinne zu schwinden drohten. Erst dann gab sie sich geschlagen, weil sie fürchtete, was ihr während einer Ohnmacht zustoßen könnte. Der Mann ließ sie noch immer nicht los, und sie begann in einen dunklen Abgrund zu sinken. Absurderweise hielt sie sich jetzt am Arm des Angreifers fest, als wäre er ihr einziger Rettungsanker auf dieser Welt. Mit letzter Kraft rangen ihre Lungen nach Luft, die ihr endlich gewährt wurde.
»Dummer Junge!«, schimpfte der Fremde. An ihrem Rücken spürte sie, wie die tiefe Stimme aus seiner Brust drang. Trotz der widrigen Umstände fand sie dieses Gefühl seltsam angenehm. Er packte ihre Schultern und drehte sie zu sich herum. »Was sollte der Unsinn? Ich wollte dich nur anschauen. So wie jeder vernünftige Mann versuche ich stets herauszufinden, wer mir auflauert.«
Rycca spähte durch ihre dichten Wimpern nach oben – und noch weiter hinauf. Da ihre schwachen Beine wankten, konnte sie sich nicht zu ihrer vollen Größe aufrichten. Aber der Mann war unglaublich hoch gewachsen. Das hatte sie schon geahnt, als er am Fluss gekauert war. Jetzt nahm ihr die
Erkenntnis seiner ungeheuren Größe und der breiten Schultern fast wieder den Atem. Unter einer ärmellosen Ledertunika zeichneten sich seine Muskeln ab. Sein markantes Gesicht wurde von goldenen Augen beherrscht. Darüber wölbten sich dunkelbraune Brauen, in derselben Farbe wie das lange, im Nacken zusammengebundene Haar. Auch die Haut schimmerte golden. Noch nie hatte Rycca einen attraktiveren Mann gesehen. Er glich einem heidnischen Idol aus dem Schmelzofen eines meisterhaften Schmieds. Doch sie entdeckte auch menschliche Züge. Offenbar hatte er sich lange nicht mehr rasiert. Auf seinen Wangen und am Kinn begannen Barthaare zu spießen. Er roch nach Holzrauch, Meeresluft und Kiefern, eine reizvolle Mischung. O ja, er war ein menschliches Wesen – nur allzu menschlich, zu real und viel zu nah.
Glücklicherweise hielt er sie für einen Jungen. Vor ihrer überstürzten Flucht war sie in die Kleider geschlüpft, die Thurlow bei seinem Aufbruch in die Normandie zurückgelassen hatte. Dem Zwillingsbruder, seit Jahren einen Kopf größer als Rycca, passten sie nicht mehr. Ihr waren sie etwas zu groß, und so verhüllten sie ihre weiblichen Formen. Die
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