Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
Vom Netzwerk:
Vermeer? Titel in dunkler Schrift. Fadenheftung, dickes Papier. Mit meinen Beziehungen würde ich mir ein paar gute Kritiken verschaffen. Ich wiegte den Kopf, stand auf und ging hinaus.
    Die Tür am Ende des Flures war nun geschlossen, doch die Stimmen waren noch zu hören. Ich knöpfte mein Jackett zu. Jetzt kam es auf Entschlossenheit an, auf weltmännisches Verhalten. Ich räusperte mich und ging schnellen Schrittes hinein.
    Ein großes Zimmer mit gedecktem Tisch und zwei Kaminskis an den Wänden: ein gänzlich abstrakter und eine neblige Städteansicht. Um den Tisch und am Fenster standen Leute mit Gläsern in den Händen. Als ich eintrat, wurde es still.
    »Hallo!« sagte ich. »Ich bin Sebastian Zöllner.«
    Das brach sofort das Eis; ich spürte, wie die Stimmung sich löste. Ich streckte einem nach dem anderen die Hand entgegen. Da waren zwei ältere Herren, offenbar einer der Honoratioren des Dorfes und ein Bankier aus der Hauptstadt. Kaminski murmelte vor sich hin; Miriam sah mich entgeistert an und schien etwas sagen zu wollen, aber dann schwieg sie. Ein würdevolles englisches Ehepaar stellte sich mir als Mr. und Mrs. Clure, die Nachbarn, vor. »Are you the writer?« fragte ich. - »I guess so«, antwortete er. Und natürlich Bogovic, der Galerist, mit dem ich erst vor zehn Tagen gesprochen hatte. Er gab mir die Hand und betrachtete mich nachdenklich.
    »I understand that your new book will appear soon«, sagte ich zu Clure. »What's the title?«
    Er warf seiner Frau einen Blick zu. »The Forger's Fear.«
    »A brilliant one!« sagte ich und gab ihm einen Klaps auf den Oberarm. »Send it to me, I'll review it!« Ich lächelte Bogovic zu, der aus irgendeinem Grund so tat, als erinnerte er sich nicht an mich; dann wandte ich mich zum Tisch, wo die Haushälterin mit hochgezogenen Brauen noch ein Gedeck auflegte. »Bekomme ich auch ein Glas?« Miriam sagte leise etwas zu Bogovic, er runzelte die Stirn, sie schüttelte den Kopf.
    Wir setzten uns zu Tisch. Es gab eine völlig geschmacklose Suppe aus Äpfeln und Gurken. »Anna ist Expertin für meine Diät!« sagte Kaminski. Ich begann von meiner Reise zu erzählen, von der Frechheit des Schaffners heute morgen, der Ahnungslosigkeit der Bahnangestellten, dem erstaunlich wechselhaften Wetter.
    »Regen kommt und geht«, sagte Bogovic. »So macht er das.«
    »As if in training«, sagte Clure.
    Dann erzählte ich von der Pensionsbesitzerin, die tatsächlich nicht gewußt hatte, wer Kaminski war. Man müsse sich das vorstellen! Ich schlug auf den Tisch, Gläser klirrten, mein Temperament wirkte ansteckend. Bogovic rückte seinen Stuhl hin und her, der Bankier redete leise mit Miriam, ich sprach lauter, er verstummte. Anna brachte Erbsen und Maiskuchen, sehr trocken, kaum hinunterzuschlucken, offenbar das Hauptgericht.
    Dazu gab es miserablen Weißwein. Ich konnte mich nicht erinnern, je so schlecht gegessen zu haben.
    »Robert«, sagte Kaminski, »tell us about your novel!«
    »I wouldn't dare call it a novel, it's a modest thriller for unspoilt souls. A man happens to fnd out, by mere chance, that a woman who left him a long time ago...«
    Ich begann, von meinem beschwerlichen Aufstieg zu erzählen. Ich imitierte den Traktorfahrer und seinen Gesichtsausdruck, zeigte, wie der Motor ihn durchgeschüttelt hatte. Mein Spiel erregte Heiterkeit. Ich beschrieb meine Ankunft, mein Entsetzen über die Entdeckung der Straße, meine Untersuchung der Briefkästen. »Stellen Sie sich vor! Günzel! Was für ein Name!«
    »Wieso?« fragte der Bankier.
    »Na hören Sie, so kann man doch nicht heißen!« Ich beschrieb, wie Anna mir die Tür geöffnet hatte. In diesem Moment kam sie mit der Nachspeise herein; natürlich erschrak ich, aber ich wußte instinktiv, daß es ein großer Fehler gewesen wäre, einfach zu verstummen. Ich machte ihr Glotzen nach, zeigte, wie sie die Tür vor mir zugeschlagen hatte. Ich wußte genau, daß der Imitierte sich selbst stets als letzter wiedererkennt. Und wirklich: Sie stellte das Tablett so fest ab, daß es klirrte, und ging hinaus. Bogovic starrte aus dem Fenster, der Bankier hatte die Augen geschlossen, Clure rieb sich das Gesicht. In der Stille hörte man sehr laut Kaminskis Schmatzen.
    Beim Dessert, einer zu süßen Schokoladencreme, erzählte ich von einer Reportage, die ich über den so spektakulär verstorbenen Künstler Wernicke geschrieben hatte. »Sie kennen doch Wernicke?« Seltsamerweise kannte ihn niemand. Ich beschrieb den Moment, als

Weitere Kostenlose Bücher