Ich war nur kurz bei Paul
Kapitel 1
Der Regen wollte einfach nicht aufhören. Ralf verkroch sich noch weiter in die Ecke des Buswartehäuschens. Vor ihm schimmerte die nasse Asphaltbahn der Straße. Vorbeifahrende Autos und Busse ließen Wasserfontänen zur Seite spritzen. Er hasste diese Stadt!
Dumpf brütete er vor sich hin und ließ seinen Blick missmutig über die mit grellbunten Graffitis besprühten Holzwände des Unterstandes gleiten. Seufzend schaute er auf sein Handy. Nichts - nicht einmal eine SMS von Justin, seinem alten Kumpel aus Silberstedt! Der würde bei diesem Wetter bestimmt mit der Clique vorm PC sitzen und counter-strike spielen.
Beim Gedanken daran und wie blöd diese neue Wohnung im zweiten Stock des Mietshauses war, in das sie gerade umgezogen waren, krampfte sich sein Herz zusammen. Kein Vergleich zum Haus seines Vaters auf dem Dorf in der Nähe von Lauenburg. Sein Kanu hatte er dort auch zurücklassen müssen, aber das würde er sich noch holen, wenn er erst einmal die Lage hier in der Stadt gepeilt hatte. Sein Daumen fuhr über die glatte Oberfläche des Handys. Er fühlte sich allein, beschissen allein.
Zuhause würde auch niemand auf ihn warten, denn seine Mutter hatte vor drei Tagen ihre neue Arbeitsstelle als Krankenschwester angetreten. Diese Woche hatte sie Frühschicht - musste um halb sechs in der Früh schon los und hatte ihm den gedeckten Frühstückstisch mit der Notiz hinterlassen, dass er noch Brötchen für sich besorgen solle. Er hasste seinen Vater! Warum hatte der sich auch diese junge Freundin zulegen müssen? Und das in seinem Alter! Die Erwachsenen hatten doch manchmal die Vollklatsche! Das einzig Gute an der Geschichte war die Tatsache, dass er endlich seine Schwester Nadine los war.
Sie hatte ihn die letzten Monate immer mehr genervt, und ihr Gehabe hatte ihn angekotzt. Weiber! Auf Nadine konnte er gut verzichten - und auf diese Barbara, die Neue seines Vaters und deren Göre, Lucie, ebenfalls. Und dann die neue Schule, die er mit Beginn der kommenden Woche besuchen würde! Er hatte sie sich schon mehrmals von außen angesehen. Das triste Gebäude mit den strengen Linien hatte ihn deprimiert und abgestoßen. Auf was für Flachpfeifen er da wohl stoßen würde? Sein Magen krampfte sich zusammen, je mehr er über seine freudlose Lage nachdachte. Erst jetzt, wo er nicht mehr in seinem Dorf lebte, überkam ihn eine Ahnung dessen, was er damit verloren hatte.
Tränen stiegen ihm in die Augen. Da er mutterseelenallein in dieser Bude hockte, war es auch egal. Der Regen wurde stärker und die schweren Tropfen trommelten ihren zornigen Rhythmus auf das Dach des Buswartehäuschens.
Plötzlich hörte er das jaulende Quietschen einer altersschwachen Fahrradbremse, und ehe er sich's versah, bekam er Gesellschaft. Ein leuchtend rotes Kapuzen-Wesen enterte mit einer kurzbeinigen Fellrolle an der Leine den Unterstand. Letztere, quatschnass wie sie war, schüttelte sich ungeniert, dass die Tropfen in alle Richtungen stoben. Ralf zuckte zusammen, denn er bekam den Schauer voll ins Gesicht.
»Äääch!«, entfuhr es Ralf spontan, schützend hielt er sich die Hände vors Gesicht.
»Karl, du olle Sau! T'schuldigung, junger Mann! Das wollte er nicht, bestimmt nicht. Er gehorcht nur seinen Instinkten. Haste viel abjekricht?« Ralf sah sein Gegenüber nicht an, seine Tränen waren ihm peinlich und so murmelte er nur: »Nö, geht schon!« Die vergnügte Stimme schien einem Opa zu gehören, der sich nun geräuschvoll neben ihn setzte und den Hund, der mit rotierendem Propellerschwanz vor seinem Tropfenfänger stand, an der Leine zu sich zog. Das gefiel diesem gar nicht, und er zeigte seinen Ärger indem er sich noch einmal kräftig schüttelte - diesmal vor seinem Chef.
»Karl!!! Verflixter!!! Kruzifix, du olle Süttelsau!« Ralf konnte ein schadenfrohes Kichern nicht unterdrücken, riss sich aber sofort wieder zusammen und schaute weg.
»Aha, auch noch schadenfroh, der Herr! Na gut, jetzt steht es unentschieden, hab ich auch mein Fett abbekommen. Das ist übrigens seine Majestät, Karl der Große , seine Freunde dürfen ihn Karl nennen. Karl, nun geh mal zu dem Herrn und entschuldige dich gefälligst! Na? -- Nu' mal los!« Karl verstand augenscheinlich und trottete mit hängenden Ohren und gesenktem Blick wieder auf Ralf zu.
Einen kurzen Augenblick blieb er vor ihm stehen, wie ein begossener Pudel, dann aber, als hätte er diese Geste tausendmal
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