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Ich weiss, dass du luegst

Ich weiss, dass du luegst

Titel: Ich weiss, dass du luegst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Ekman
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missbrauchte Kinder, die in einem Heim leben, beim Aufdecken von Lügen aufgrund von Verhaltensweisen präziser als andere Kinder waren.
    Es wurden drei Gründe geschildert, warum wir Lügnern nicht auf die Schliche kommen: Wir sind in unserer evolutionären Geschichte nicht darauf vorbereitet worden; unsere Eltern brachten uns nicht bei, ihre Lügen aufzudecken; und wir ziehen Vertrauen der Skepsis vor. Die vierte Erklärung beruft sich darauf, dass wir häufig irregeführt werden möchten. Wir verbünden uns unabsichtlich mit der Lüge, weil wir offenbar großes Interesse daran haben, die Wahrheit nicht zu erfahren. Betrachten wir zwei Beispiele ehelicher Beziehungen. Für eine Mutter mit mehreren kleinen Kindern könnte es kaum von Interesse sein, ihren Partner bei einer Lüge zu ertappen, die seine Untreue verheimlicht, insbesondere wenn er eine Affäre hat, bei der er keine Ressourcen abzweigt, die sonst ihr und den Kindern zugutegekommen wären. Da der Schürzenjäger nicht erwischt werden will, haben sie beide ein Interesse daran, dass die Lüge nicht aufgedeckt wird. Eine ähnliche Logik fasst bei der nächsten, altruistischer geprägten Lüge, die in falscher Einvernehmlichkeit mündet. Eine Frau fragt ihren Ehemann: «War auf der Party irgendeine Frau, die du attraktiver fandest als mich?» Er lügt und behauptet, sie sei die attraktivste gewesen, was nicht stimmt. Er will sie nicht eifersüchtig machen und will auch mit ihren Gefühlen nicht umgehen müssen, während sie vielleicht gern glauben möchte, die attraktivste gewesen zu sein.
    Bei manchem geheimen Einverständnis könnte die Zielperson, die dem Lügner glauben möchte, nur kurzfristig oder gar nicht von der Lüge profitieren. Erinnern Sie sich an das wahrscheinlich infamste Beispiel im zwanzigsten Jahrhundert, als die Zielperson dem Lügner glaubte, der ihm Schaden zufügen wollte: Es geht, wie bereits beschrieben, um die Begegnung zwischen dem britischen Premierminister Neville Chamberlain und dem deutschen Reichskanzler Adolf Hitler am 15. September 1938. Warum glaubte Chamberlain Hitler? Nicht alle glaubten ihm, Mitglieder der britischen Opposition und darüber hinaus viele, die erkannt hatten, dass Hitler sein Wort nicht hielt. Meiner Meinung nach wirkte Chamberlain unabsichtlich bei Hitlers Lüge mit, weil er ihm glauben musste. Hätte Chamberlain die Lüge erkannt, wäre er mit der Tatsache konfrontiert worden, dass er mit seiner Beschwichtigungspolitik sein Land einem gravierenden Risiko ausgesetzt hätte. Da er sich dieser Tatsache nur wenige Wochen später stellen musste, könnte man sich fragen, warum er während seines Treffens mit Hitler zu diesem Schluss gekommen war. Das wäre der rationale, aber nicht der psychologische Ansatz. Die meisten von uns handeln nach dem ungeschriebenen Gesetz, eine Konfrontation mit äußerst unangenehmen Dingen aufzuschieben. Das wird unter anderem durch das ins- geheime Übersehen der Fehler eines Lügners erreicht.
    Chamberlain stand in dieser Hinsicht nicht allein da. Die Personen, auf die die Lüge abzielt, wollen, häufig unbewusst und insgeheim, dem Lügner glauben. Dasselbe Motiv - das bevorstehende Unglück nicht erkennen zu wollen - erklärt, warum der Geschäftsmann, der irrtümlicherweise einen Betrüger angestellt hat, weiterhin die Anzeichen für Unterschlagungen übersieht. Aus rationaler Sicht ist die Lage eindeutig: Je eher er die Unterschlagung entdeckt, umso besser ist es für ihn. Aber psychologisch betrachtet, bedeutet diese Entdeckung, dass er sich nicht nur mit den Verlusten seiner Firma auseinandersetzen muss, sondern auch mit seinem eigenen Fehler, einen solchen Gauner überhaupt eingestellt zu haben. Auf ähnliche Art und Weise weiß wahrscheinlich jeder, außer dem gehörnten Ehemann, was geschieht. Oder die Jugendliche, die harte Drogen nimmt, mag überzeugt sein, dass ihre Eltern auf jeden Fall wissen müssten, was sie tut. Die sind indessen unabsichtlich bemüht, eine Entlarvung der Lügen zu vermeiden, weil sie sonst gezwungen wären, sich mit der Möglichkeit auseinanderzusetzen, dass sie als Eltern versagt haben und ihnen jetzt ein schrecklicher Kampf bevorsteht. Kurzfristig betrachtet, ist man fast immer besser bedient, mit der Lüge zu kooperieren, selbst wenn es bedeutet, dass die künftigen Konsequenzen sogar schlimmer sein werden.
    Die Motive, die die Zielperson antreiben, den Lügner nicht zu entlarven, traten in dem Bericht über die Verhaftung des

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