Ich weiss, dass du luegst
kann er sich die wenn auch noch so geringe Hoffnung machen, dass er vielleicht falschliegt und sie doch keine Affäre hat.
Nicht jedes Opfer ist so bereitwillig. Manchmal gibt es nichts zu gewinnen, wenn man eine Lüge ignoriert oder dazu beiträgt, sie aufrechtzuerhalten. Manche Lügenermittler haben nur einen Vorteil, wenn sie die Lüge aufdecken - verlieren können sie dabei nichts. Der Vernehmungsbeamte bei der Polizei kann nur verlieren, wenn er hereingelegt wird. Das trifft auch auf den Kreditsachbearbeiter einer Bank zu. Beide erledigen ihre Arbeit nur dann zufriedenstellend, wenn sie den Lügner entlarven und den Ehrlichen erkennen. Häufig wird das Opfer sowohl zum Verlierer als auch zum Gewinner, wenn es sich in die Irre führen lässt oder die Lüge aufdeckt. Aber Gewinn und Verlust halten sich möglicherweise nicht ganz die Waage.
Für Marys Arzt stand nicht viel auf dem Spiel, wenn er ihrer Lüge glaubte. Litt sie tatsächlich nicht mehr unter Depressionen, konnte er sich selbst einen gewissen Anteil an ihrer Erholung zuschreiben. Aber auch wenn ihre Gesundheit in Wahrheit nicht wiederhergestellt war, hatte er nicht viel zu verlieren. Anders als bei Chamberlain stand hier nicht seine ganze Karriere auf dem Spiel. Er hatte sich eben nicht auf eine bestimmte Einschätzung festgelegt, die widerlegt worden wäre, wenn er Marys Lüge aufdeckte. Er hatte viel mehr zu verlieren, wenn er auf sie hereinfiel, als zu gewinnen, wenn sie ehrlich war. Für Chamberlain jedenfalls war 1938 alles zu spät. Sollte Hitler unehrlich sein und gelänge es nicht, seiner Aggression anders als mit Krieg Einhalt zu gebieten, dann wäre Chamberlains Karriere beendet, und der Krieg, den er zu verhindern gehofft hatte, würde ausbrechen.
Ganz abgesehen von Chamberlains Motiven, Hitler zu glauben, war ein Erfolg der Lüge auch deshalb wahrscheinlich, weil keine starken Emotionen verheimlicht werden mussten. In den meisten Fällen scheitern Lügen, weil gewisse Anzeichen einer verheimlichten Emotion durchsickern. Je stärker die Emotionen sind, die bei einer Lüge eine Rolle spielen, und je mehr unterschiedliche Emotionen im Spiel sind, umso wahrscheinlicher ist es, dass sich irgendein Verhalten Bahn bricht, das die Lüge verrät. Hitler hätte mit Sicherheit keine Schuldgefühle gehabt - eine Emotion, die für den Lügner in zweifacher Hinsicht problematisch ist. Denn nicht nur sickern Anzeichen davon durch, sondern die Last der Schuld könnte den Lügner sogar dazu bewegen, Fehler zu machen, um ertappt zu werden. Hitler empfand keine Schuld dabei, den Vertreter eines Landes zu belügen, das zu seinen Lebzeiten Deutschland eine demütigende militärische Niederlage beigebracht hatte. Im Gegensatz zu Mary teilte Hitler auch keine grundlegenden Werte mit seinem Opfer. Er respektierte oder bewunderte Chamberlain nicht. Mary dagegen musste starke Gefühle verheimlichen, sollte ihre Lüge erfolgreich sein. Sie musste die Verzweiflung und die Seelenqual unterdrücken, die sie zum Selbstmord trieben. Und Mary hatte allen Grund, sich schuldig zu fühlen, als sie ihre Ärzte anlog, denn sie mochte sie, bewunderte sie und wusste, dass sie ihr nur helfen wollten.
Aus all diesen und weiteren Gründen ist es normalerweise viel einfacher, im Verhalten eines Suizidpatienten oder eines lügenden Ehepartners Anhaltspunkte für eine Täuschung aufzudecken als bei einem Diplomaten oder bei einem Doppelagenten. Aber nicht jeder Diplomat, Kriminelle oder Geheimdienstmann ist ein perfekter Lügner. Manchmal machen sie auch Fehler. Durch meine Analysen lässt sich besser einschätzen, ob es einem gelingen wird, Täuschungshinweise zu entdecken, oder ob man in die Irre geführt wird. Meine Botschaft an all jene, die ein Interesse haben, Lügen im politischen oder kriminellen Kontext aufzuspüren, lautet freilich nicht, Verhaltenshinweise zu ignorieren, sondern vorsichtiger zu sein und sich sowohl die Grenzen als auch die Möglichkeiten stärker bewusstzumachen.
Obwohl es manchen Beweis dafür gab, dass sich im Verhalten Täuschungshinweise finden lassen, galt ihre Existenz bei der Veröffentlichung des Buches noch nicht als zweifelsfrei nachgewiesen. Meine Untersuchungen, wie und warum die Menschen lügen und wann Lügen auffliegen, wurden durch die Ergebnisse von Lügenexperimenten sowie durch historische und fiktive Berichte bestätigt. Aber noch war keine Zeit gewesen, um zu prüfen, ob diese Ergebnisse neuen Experimenten und der kritischen
Weitere Kostenlose Bücher